Hochsaison. Alpenkrimi
dann feierte man das Fest der hl. Stephanie. Am Tag darauf entdeckten zwei Burschen die angebliche Wunderwaffe aus Chaoyang unter einem Sitz im Skistadion, erkannten sie aber nicht als solche, sondern nahmen die paar Röhren und
Bolzen mit nach Hause und warfen sie zu anderem Gerümpel. Der letzte Schnee schmolz, der Bürgermeister beauftragte eine internationale Werbeagentur, ein Logo für die
Kampagne 2018
zu entwerfen (er wurde deswegen nur knapp wiedergewählt), der Schützenverein und die beiden miteinander verfeindeten Blaskapellen im Ort bereiteten sich schon auf die sommerlichen Festumzüge vor. Eine Urlaubspostkarte aus Lima traf ein, die Suche nach Dr. Steinhofer wurde eingestellt, es sah so aus, als wäre er in den Urwäldern Südamerikas verschwunden. Es geschah alles Mögliche, aber weder Kugeln noch Tatwaffen, die Licht ins Dunkel hätten bringen können, wurden gefunden. Wie auch.
23
»Ein handgeschriebener Bekennerbrief?«, fragte Maria Schmalfuß verwundert und rührte unendlich lange in ihrem Kaffee herum. »Das wäre ja mal ganz was Neues!«
»Genauso ist es aber«, sagte Polizeiobermeister Johann Ostler und legte das Fundstück vorsichtig auf den Tisch des Besprechungsraums. Alle standen auf und beugten sich darüber.
»Unglaublich.«
»So was habe ich noch nie gesehen.«
Neben der klugen Psychologin in ihren farbigen Klamotten und den beiden wackeren, bieder gekleideten Ortspolizisten Ostler und Hölleisen war auch das ganze übrige Team von Kommissar Jennerwein nach drei Monaten wieder auf dem Polizeirevier versammelt. Da war die junge, ehrgeizige Recklinghauser Kommissarin Nicole Schwattke. Sie hatte ihre halblangen, dunkelblonden Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden und schaute interessiert in die Runde. Da war Hauptkommissar Ludwig Stengele, der bedächtige Allgäuer mit der auffallend gesunden Gesichtsfarbe. Sie alle waren gekommen, mit dem Zug, mit dem Auto, sogar mit dem Fahrrad, um den außergewöhnlichen Fund des unbescholtenen Ehepaars Traudl und Maximilian Utzschneider zu begutachten, den diese von ihrer morgendlichen Bergtour mitgebracht hatten.
Es war ungewöhnlich warm und mild für diese Jahreszeit. Die beiden waren noch vor Anbruch der Dämmerung zu der
Wanderung aufgebrochen, in aller Herrgottsfrühe sozusagen. Auf die beliebte Krottenkopfspitze sollte es gehen, wie jedes Jahr an ihrem Hochzeitstag. Nachdem sie nach fast vier Stunden ohne größere Ausfälle oben angekommen waren (nur einmal waren sie auf einem Schneebrett ausgerutscht), packten sie unter dem Gipfelkreuz zunächst einmal ihre Brotzeit aus. Sie waren allein auf der Krottenkopfspitze an diesem klaren Aprilmorgen, ein flüchtiger Blick ins Gipfelbuch hatte allerdings gezeigt, dass vor ihnen schon ein anderer da gewesen sein musste, ein noch früherer Vogel.
»Wahrscheinlich ein Bergfex, der inzwischen schon wieder unten im Ort ist«, sagte Traudl Utzschneider schmatzend.
Maximilian Utzschneider ließ den Finger über dem Talkessel kreisen.
»Und der irgendwo da unten frisch geduscht mit seiner Frühschicht anfängt.«
Solche gab es zuhauf im Werdenfelser Land. Ihr Frühsport bestand aus der Begehung von Zweitausendern im Laufschritt. Der neue Pfarrer zum Beispiel war so einer. Oder der Rechtsanwalt Silbermiller.
»Dem Buchwieser Korbinian trau ich’s auch zu«, sagte die silberblonde Hochzeitstraudl. »Oder meinem Bruder.«
»Ja, da gibt es schon einige«, sagte Maximilian und biss sinnend in einen knackigen Apfel. Die Sonne ging jetzt auf, das schauten sich die Utzschneiders noch an, weil so etwas ja bestens zu einem Hochzeitstag passt, sie stießen mit zwei Pappbechern voll warmem, gut durchgeschüttelten Prosecco an, dann standen sie auf, um sich und ihren Jahrestag im Gipfelbuch zu verewigen. Zuerst aber blätterten sie ein paar Seiten zurück und lasen die vielen originellen Einträge:
17. März, frühmorgens Ein Wahnsinnsausblick! – Tina und Bert
17. März, abends Ebenso! – Gundi und Max
18. März, mittags Das erstemal auf dem Krottenkopf! – Familie Buchhartinger-Brömse (Eva, Flocki, Bert, Ines samt Hund)
18. März, 18.32 Uhr Liebe Familie Buchhartinger-Brömse, wenn Sie jemals wieder hier heraufkommen, sei Ihnen gesagt, dass man »das erste Mal« seit der Rechtschreibreform auseinander schreibt – OstR Gundolf Mützenberger (D, G, Soz)
19. März Trotzdem schön hier oben! – Hubsi
20. März Herrlicher Ausblick! Ein bisschen viel Schnee liegt noch – Gustl
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