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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Tat-Wahrscheinlichkeits-Matrizen einzuteilen. Wie ist das aber bei einem Serientäter? Bei einem Marder? Hier fällt es schwerer, sich vorzustellen, was er macht, wenn er gerade nicht seriell mordet, wenn er gerade nicht davon träumt, das Hirn der neuesten E-Mail-Bekanntschaft auszuschlürfen. Was treibt er, wenn er nicht gerade Botschaften mit Bibelstellen verschlüsselt, Schieß- und Schlitzübungen macht, Spurenverwischkurse belegt? Wie sieht das Privatleben eines Marders aus? Hat er überhaupt eines? Treiben ihn zusätzlich zu seiner morbiden Schwäche noch andere Leidenschaften um? Diesen Marder schon. Er war ein passionierter Bergsteiger.
     
    6.11 Uhr, Ochsenwiese
    Der Marder war heute sogar schon um fünf Uhr aufgestanden, hatte sich beim Frühstück noch die Wettervorhersage in der Sendung
Rucksackradio
angehört und war dann in der Dämmerung losgegangen. Das kurze steile Stück, das nach der Ochsenwiese zum Kölbertritt führte, regte ihn an, das Tempo noch einmal zu verschärfen. Der Marder war in Form. Schon in jungen Jahren war er immer dann auf den Berg gegangen, wenn er über ein Problem nachdenken musste. Diese Verknüpfung von ansteigenden Bergpfaden und langsam sich abzeichnenden Lösungen hatte ihn geprägt. Mit jedem Tritt der
Bergschuhe brachen die großen und kleinen Sorgen weg. Die Skrupel, die faulen Kompromisse und die halbherzigen Übergangslösungen bröckelten wie die Steine den Steilpfad hinunter, unten im Tal zerbarsten sie krachend und lösten sich in Wohlgefallen auf.
     
    7.51 Uhr, Kölbertritt
    Der Marder hatte heute viel vor. Bei der Wegmarkierung nach dem Kölbertritt, bei dem Stein mit den zwei gelben Kreuzen, bog er vom üblichen Pfad der Freizeit-Alpinisten ab und bahnte sich den Weg durchs Unterholz. Zielsicher ging er zu seinem Versteck. Der zweite Rucksack dort war prall gefüllt mit Zündschnüren, Explosiva, präparierten Küchenweckern und ähnlich netten Requisiten. Er stapfte mit zwei schweren, senfgelben Rucksäcken weiter. Obwohl es schon April war, lag noch viel Schnee. Er war unterwegs auf den Pfaden, auf denen einst König Ludwig gewandelt (respektive auf einer Sänfte getragen worden) war. Er hatte heute, an diesem schönen Frühlingstag, vor, die Piste auf seine ganz persönliche Weise zu präparieren.
     
    9.32 Uhr, Sauwald
    Er musste keine Sorge haben, dass ihm jemand entgegenkam, so früh war er losgegangen. Und dass ihn jemand überholte, war zwar nicht ausgeschlossen, aber es war unwahrscheinlich. Das erinnerte ihn allerdings an sein unangenehmstes Erlebnis. Ausgerechnet beim Aufstieg auf seinen Lieblings-Problemlösungs-Berg war ihm auf derbe Weise klargemacht worden, dass es noch fittere Kameraden als ihn gab. Etwa in der Mitte der Strecke hatte er das Keuchen eines anderen Wanderers hinter sich gehört, für sich gesehen nichts Außergewöhnliches, aber dieses unverhüllte Stampfen und Schnauben war immer näher gekommen. Hätte ihn dieser anonyme Angreifer damals ins Genick gebissen oder mit einem Stock ins Kreuz geschlagen, hätte der
Marder keinen solchen Schmerz verspürt wie den, überholt zu werden. Es war das erste Mal in seinem Leben gewesen.
     
    10.56 Uhr, Froschbachel
    »Da draußen läuft ein Serientäter frei herum. Und wir müssen ihn finden.« In jeder amerikanischen Serial-Schmonzette kam dieser Satz vor, dachte der Marder. Es waren nur noch ein paar Meter bis zum Ziel. Auf der kleinen Anhöhe legte er seine zwei Rucksäcke ab, setzte sich und schnaufte tief durch. Er war ziemlich außer Atem gekommen, und so blickte er jetzt keuchend hinunter ins Tal. Irgendwo da unten, dachte der Marder, irgendwo da drunten sitzt ein Kommissar. Und ich muss ihn beschäftigen.
     
    11.02 Uhr, Schachenhäuser
    Der Marder riss das Päckchen mit den Einmalhandschuhen auf und streifte sich ein Paar über. Dann fummelte er Stift und Papier aus der Plastikfolie und schrieb:
    »Lieber Herr Kommissar Jennerwein!
     
    Ich bin siebenundzwanzig, ich bin dreiundvierzig, ich bin Ende sechzig. Ich bin bekennender Presbyterianer, ich bin gläubiger Buddhist, ich bin praktizierender Voodoo-Priester im Voodoo-Sprengel Duisburg-Nord. Ich bin alteingesessener Ur-Hammersbacher. Ich bin Mann, ich bin Frau, ach ist das herrlich, wenn man in einem virtuellen, potentiellen Raum schwebt, wenn man noch das Ding an sich ist und nicht eines seiner vielen Ausgestaltungen.
    Das ist das eigentlich Geile an der Serientat, dass man (eine gewisse Zeit zumindest) profil-los alles ist,

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