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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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dass man viele Existenzen in sich vereint, die sich langsam erst zu der einen, langweiligen, konkreten verengen. Das Erregende für alle
Seiten ist genau diese Zeit, in der der Täter so ein unscharfes Profil hat, dass jeder der Beteiligten denkt: Das könnte ich auch selbst sein, ich habe nur nicht den Mut gefunden, so weit zu gehen.
    Der zweite Anschlag steht kurz bevor, Herr Kommissar!
     
    Mit vielen Grüßen – aus Grainau, aus Hammersbach, aus Klais, aus Farchant, aus Krün …
     
    Ihr hochgestimmter Unfassbarer

27
    Åge Sørensen ritt hoch zu Ross durch den Wald von Morr, auf einem Apfelschimmel, den ihm die Asengöttin Krygalde geschenkt hatte. Ihre Hütte war sauber eingerichtet gewesen, er war eingetreten und hatte nach Thor mit dem Hammer gefragt. Als er weggeritten war, hatte er überlegt, ob er nicht einen großen Fehler gemacht hatte. Ganz hinten auf einem Tisch in Krygaldes Hütte hatte er einen Beutel Sago, einen Becher Sahne und eine Schale Brombeeren gesehen. Sago, Sahne und Brombeeren, das waren doch die Zutaten für – na? Auf der Höhe von Lypiswiøulde fiel es ihm ein, Åge musste lächeln, und Mutter Sørensen entging das nicht.
    Sie hielt die Hand ihres Sohnes, aber sie hätte genauso gut eines der Kabel halten können, die aus den medizinischen Geräten quollen und auf Åge herabstürzten wie würgelustige Schlangen. Mutter hatte die Erlaubnis erhalten, hier zu bleiben. Sie wusste, was diese Erlaubnis bedeutete. Dass Åge eigentlich keine Chance mehr hatte.
     
    Mit dem Klinikum selbst war sie zufrieden. Das Krankenhauspersonal war freundlich und die Ärzte auskunftswillig. Einzig kritisierenswert fand sie die Tatsache, dass es im ganzen Haus kein  gab. SOERENSEN hatten die Pfleger stattdessen auf die Karte an der Fußseite des Bettes geschrieben, als ob das das Gleiche wäre. SÖRENSEN
s
tand auf den Infusionsflaschen, und auf einem der medizinischen Geräte war
A _ GE SO _ REN -
SEN zu lesen. Wie man das wohl aussprach? In einer Zeit, in
der ein @ und ein € auf jeder Spielzeugtastatur zu finden waren, war ein  anscheinend kein Zeichen, das die Welt brauchte. Sie hatte in den ganzen Wochen, in denen sie hier war, kein Å und kein  gesehen. Dabei hatten die Dänen doch einmal halb Europa beherrscht. Das war allerdings schon etwas länger her, tausend Jahre, zur Zeit Knuts des Großen: Nørwegen, Schøttlånd, Litøuen, Nørddeutschlånd bis hinunter nach Hånnøvør und sogar Nørnbørg, alles dänisch!
     
    Aber sonst konnte sie nicht über das Klinikum klagen. Vor ein paar Tagen war sogar der Chefarzt zu ihr gekommen, ein glatzköpfiger Zweimetermann mit großen, wachen Augen, der auf dem Gang einen Bob-Dylan-Song gesummt hatte:
A hard rain’s a-gonna fall
, Humor hatte der Mann jedenfalls. Dann hatte er sich geräuspert:
    »Drunten steht schon wieder einer von der Presse, Frau Sørensen. Er will mit Ihnen sprechen.«
    »Wie oft soll ich den Leuten noch sagen, dass ich das nicht möchte. Ich habe schon alles gesagt.«
    »Da haben Sie recht, das ist auch mein Problem. Es sind immer dieselben Fragen. Und ich kann nicht voraussehen, ob und wann er wieder aufwacht und ob er sich daran erinnert, was wirklich geschehen ist
.
«
    »Er ist immer noch nicht transportfähig, nicht wahr?«
     
    Draußen dämmerte es, sie zog ein Buch aus ihrer Tasche und las ihrem Sohn daraus vor, wie jeden Tag um diese Zeit. Das Buch trug den Titel
Eine kurze Geschichte des Skispringens,
aber es war dicker als die Bibel.

28
    Karl Swoboda war ganz in seinem Element. Er hatte sich als altes gebrechliches Männchen verkleidet, auf seiner Vollglatze klebten ein paar weißliche Haare, eine zerkratzte Brille verdeckte seine umherirrenden, wachen Augen. Er streifte, auf einen Spazierstock gestützt, im ganzen Ort herum und studierte in Ruhe alle öffentlichen Anlagen und privaten Gehöfte, er studierte Misthaufen und Versitzgruben, suchte nach Hinweisen auf unterirdisch verlegte Rohrleitungen mit blinden Abzweigungen, er studierte den Wuchs von großen, augenscheinlich morschen und innen hohlen Bäumen, er schätzte das Fassungsvermögen dieser Hohlräume, er verfolgte die wilden Strudel in den Mühlbächen und Wasserwehren, studierte auch, wie auf dem Golfplatz neue Bahnen von Rollrasen auf satter, schwarzer Erde verlegt wurden. Wenn man ihn beobachtet hätte, wäre man von einem allseits interessierten Rentner ausgegangen, man wäre nie drauf gekommen, dass er nach einem ganz besonderen Versteck suchte.

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