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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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wollen die Sache kühl betrachten.«
     
    Die alte Kreitmayer Resi hatte zwar nicht von der Wurst abgebissen, sie war aber trotzdem, sicherheitshalber, sofort ins Krankenhaus verfrachtet worden. Die Geschichte mit den herausquellenden Augen und den Todesschreien, die man einen Kilometer weiter noch gehört haben wollte, war durch den Stille-Post-Effekt der Volksfolklore zustande gekommen. Die Wurst war noch unversehrt, und sie wurde von Becker sofort untersucht. Das Ergebnis war in der Tat entwürdigend. In der Mitte der Wurst befand sich eine kleine Kapsel, den Spurensicherern schwante schon Übles, als sie das armselige rote Etwas
erblickten. Es war keine der üblichen pharmazeutischen Kapseln, die sich nach einer bestimmten Zeit im Magen auflösten, und mit denen Giftmischer schon viel Unfug getrieben hatten. Es war eine billige kleine Plastikkapsel, die sich leicht öffnen ließ. Im Inneren fand sich ein winziger, in der Art einer Ziehharmonika zusammengefalteter Zettel:
    0,01 mg Botulin: †
    So klein die Schrift war, sie war steil und streng aufwärts gerichtet, in den Oberlängen flatterte sie, als würde sie brennen. Und als ob das noch nicht provokativ genug wäre, war auf der Rückseite des länglichen Zettels noch die genaue Wirkung einer Botulin-Vergiftung aufgeführt:
    Übelkeit, Mundtrockenheit, Muskellähmungen, Halssteifigkeit, Schwindel, Doppeltsehen, Kopfschmerzen, Erbrechen, Sprachstörungen, Schluckbeschwerden, Magenbeschwerden, Pupillenerweiterung, Akkomodationslähmung, Lichtscheu, Flimmern, Benommenheit, Atemnot, Verstopfung, Versiegen der Speichelproduktion, Austrocknung von Schleimhäuten, Atemlähmung, Bronchopneumonie – Herzstillstand!
    »Und wegen so einem Wisch haben wir im Krankenhaus hundertsiebenundachtzig Leuten den Magen auspumpen lassen«, sagte Ostler entrüstet.
    »Wir sollten nicht den Fehler machen, emotional zu reagieren und uns persönlich über die Finte zu ärgern«, beruhigte ihn Maria. »Genau das will der Marder nämlich. Er will uns unprofessionell sehen, irgendwo in der Öffentlichkeit, in einem Interview, bei einer Vernehmung, wie auch immer.«
    Jawoll, Frau Doktor Kopf!, hatte Stengele auf der Zunge, doch er sprach es nicht aus.
    »Das ist richtig, Maria«, sagte Jennerwein. »Wichtig ist jetzt bloß: Verkleinert dieser Anschlag den Täterkreis? Ich bitte um Meinungen dazu.«
    »Ich denke, dass wir die Gymnasiasten dadurch schon mal ausschließen können«, sagte Nicole Schwattke. »Zugegeben: Diese Raskolnikoff-Gang besteht aus ziemlich durchgeknallten Teenies. Sie hätten es vielleicht sogar drauf, die Anschläge zu planen. Aber vor der letzten Konsequenz würden die zurückscheuen.«
    »Der Meinung bin ich auch«, sagte Stengele. »Diese jungen Leute haben ein – wie soll ich sagen – gestalterisches Ziel. Die schlagen nicht wild um sich, die wollen stilvoll provozieren, die wollen so etwas wie eine künstlerische Aktion. Unser Marder hingegen will bloß sein Ego pinseln, sonst nichts.«
    »Dieser Meinung schließe ich mich an«, fügte Maria hinzu und blickte dabei versöhnlich zu Stengele. »Ich habe inzwischen am Profil weitergearbeitet. Unser Täter ist auf alle Fälle ein Mensch mit starken Minderwertigkeitskomplexen, da sind wir uns wohl einig. Er will Aufmerksamkeit. Er will, dass ihm alle Welt zuschaut bei seinem Spiel. Aber: Er ist nicht etwa der arme, vereinsamte Einzelgänger, der nirgendwo Beachtung findet. Er steht mitten im Leben, er ist vielleicht sogar beliebt und anerkannt in der Gemeinde. Das genügt ihm jedoch nicht. Er will mehr. Er will die absolute, nachhaltige, uneingeschränkte, horrormäßige Kontrolle über seine Umgebung.«
    »Aber seine Briefe waren doch immer sehr freundlich, finden Sie nicht?«, sagte Nicole. »Sogar charmant. Aber nie aggressiv.«
    »Das wäre auch zu gefährlich für ihn«, sagte Maria. »Damit würde er sich zu sehr aus der Deckung wagen. Manchmal geht es aber doch mit ihm durch. Ich erinnere an die Stelle:
    … Hetzen Sie nicht Ihre wahnsinnig gut ausgebildeten Psychos auf mich, ihre Kommunikationsspezialisten und verbeamteten Klugschwätzer, das führt zu nichts. Den ersten Profiler, den ich sehe, erschieße ich …
    Da zeigt er Nerven, da kann er sich nicht beherrschen.«
    »Oder er will, dass wir das denken«, wandte Jennerwein ein.
    »Dieser Meinung bin ich nicht«, sagte Maria energisch. »Der Stil wird bei dieser Stelle splittrig, er fasert aus, er wird redundant. Der Ausdruck
›das führt zu

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