Hochsaison. Alpenkrimi
Radio, als er die Küche des Bauernhauses verließ.
Noch 7 Minuten bis zum Zwölfuhrläuten
Feuerwehrhauptmann Johann Mirgl junior und seine Leute nahmen die Sache sehr ernst. Sie waren bis halb zwölf in den Feuerwehrautos herumgefahren und hatten immer wieder denselben Text über den Lautsprecher gesprochen. Es war kein offizieller Einsatz, an dem sie da teilnahmen, einige Dienstvorschriften waren schon verletzt worden, aber wenn es um Leben und Tod ging – wen kümmerten da Dienstvorschriften? Gefahr im Verzug. Vor einer halben Stunde hatten sie die Fahrzeuge stehen lassen und waren mit den Megaphonen zu Fuß durch die Straßen gegangen. Sie hatten jetzt so ziemlich den ganzen Ort durch, und wer nicht gerade taub war – Moment mal: Wer nicht gerade taub war? Feuerwehrhauptmann Mirgl schoss plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Er sah sich um. In fünfzig Metern Entfernung, am Ende der Straße, sah er Kommissar Jennerwein und Maria Schmalfuß stehen und eine Gruppe von Bürgern beruhigen.
»Kommen Sie hierher! Kommen Sie mit«, schrie Mirgl den beiden durchs Megaphon zu. »Wir haben noch jemanden vergessen!«
Noch 4 Minuten und 30 Sekunden bis zum Zwölfuhrläuten
Das alte Bauernhaus des Kreitmayer-Hofes hatte nur eine einzige Bewohnerin. Alle anderen waren herausgeheiratet, herausgezogen,
herausgestorben.
»Resi! Resi! Bist du da drinnen?«, schrie Feuerwehrhauptmann Mirgl junior durch das Megaphon. Keine Antwort. Mirgl
ging gebückt von Fenster zu Fenster und versuchte, hineinzusehen. Aus einem hörte er: HUMPF TATA TA ! HUMPF TATA TA ! Der Feuerwehrhauptmann zögerte kurz, ob er nicht auf die Polizisten warten sollte. Aber HUMPF TATA TA ! bedeutete: Gefahr im Verzug. Er nahm einen kurzen Anlauf und sprang, mit dem spitzen Helm voraus, mit der Spitzhacke in der Hand, durchs Fenster, keine Sekunde zu früh, denn Resi Kreitmayer, die letzte Überlebende der alten Bauernfamilie Kreitmayer, saß am Tisch, hatte die Wurst gerade in den süßen Senf getunkt und führte sie schon zum Mund.
»Hooooooooooooooit!!«, schrie der Feuerwehrmann, was aufrichtig gemeint, aber vom Katastrophenpsychologischen her riskant war, denn die Resi hätte sich die Wurst vor Schreck fast in den Mund gesteckt. Doch sie hielt in der Bewegung inne. Mirgl stürzte auf sie zu. Mit einem Hechtsprung riss er ihr die Wurst aus der Hand und stürzte mit der Kreitmayerin zu Boden.
Zwölfuhrläuten
46
Solch einen Wirbel hatte man in der beschaulichen Pension Alpenrose noch nie erlebt. Ein terroristischer Anschlag! Unglaublich! Manche der Pensionsgäste genehmigten sich schon das zweite Gläschen Portwein, das dritte Käffchen oder die fünfte Tasse Kamillentee, so aufgeregt waren sie.
Um halb zwölf waren die beiden Polizisten mit quietschenden Reifen in den Hof gefahren, eine kleine junge Frau und ein großer älterer Mann waren herausgesprungen, der Mann war sofort in die Küche gestürmt, die Frau hatte der Direktrice Anweisungen gegeben.
»Ich fahre jetzt schon vierzig Jahre hierher«, sagte ein Hamburger Urlauber mit angewachsener Prinz-Heinrich-Mütze, »aber so etwas hatte es hier noch nie gegeben. Deubel auch!«
Zehn Minuten später wussten es alle Pensionsgäste: Man war einem Anschlag entkommen. Einem Anschlag! Herrgott, dass so etwas in einem harmlosen Kurort wie diesem überhaupt möglich war! Mangels weitergehender Informationen war im Frühstücksraum der Pension Alpenrose die nächsten Stunden viel zu hören, was einigermaßen eng ans Rassistische angrenzte, nahtlos ins Radikale hinüberführte und wieder zurück ins Gemütliche ging. Frau Schober stellte Schnittchen und Kuchen bereit, doch ans Essen dachte keiner mehr. Der trotzige Widerstand des Kleinbürgertums machte sich breit. Wenn schon keine Weißwurst, dann gar nichts. Außerdem: Am Vormittag
vergiftet der Islamist Würste, über was macht er sich am Nachmittag her? Über die Schwarzwälder Kirschtorte?
Auch Shan saß eine gute Weile mit im Frühstücksraum, hörte sich alles an und nickte höflich. Als sie genug gehört hatte, verließ Shan den Frühstücksraum, ging aus dem Haus und tat sich noch ein wenig um, auf der Straße, in einigen Geschäften, und in einer ganz bestimmten Bäckerei, von der sie wusste, dass sich hier viele Einheimische tummelten.
»Wir haben einen Serientäter hier im Ort«, sagte sie nach ihrem Streifzug zu Wong und Swoboda. »Die Polizei nimmt wohl an, dass der Neujahrsanschlag, der Lawinenabgang und
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