Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Ein und Alles zu sein. Aus den wenigen Worten, die sie gewechselt hatten, schloss er, dass Susanne Jessen suizidgefährdet war. Er vermutete, dass sie nicht zum ersten Mal in psychiatrischer Behandlung war und beschloss, in den Akten nach einem entsprechenden Eintrag zu suchen. Später wollte er den Kommissar darüber informieren, dass eine Vernehmung in diesem Zustand undenkbar war. Das Piepsen des Pagers riss ihn aus seinen Gedanken. Auf dem Display blinkte die Nummer des Direktors der Klinik. Während er sich auf den Weg in dessen Büro machte, stellte er sich auf ein unangenehmes Gespräch ein.
Die Befragung der Rektorin der Grundschule brachte keine neuen Erkenntnisse. Manuela Jessen war am Morgen nicht zum Unterricht erschienen. Nachdem keines der Kinder, die mit ihr befreundet waren oder in nächster Nachbarschaft wohnten, etwas über ihren Verbleib wusste, war man davon ausgegangen, dass sie krank wäre. Gegen halb zehn hatte sie den Anruf der Kriminalpolizei erhalten und die Klassenlehrerin informiert. Seitdem waren alle in großer Sorge. Kepplinger beruhigte die Rektorin, indem er versicherte, dass alles Mögliche getan würde, um das Mädchen zu finden.
In wenigen Minuten würde die letzte Schulstunde an diesem Montagvormittag zu Ende gehen. Er drängte darauf, mit Manuelas Mitschülern zu sprechen. Die Rektorin führte ihn zum Klassenraum im ersten Stock.
Kepplinger begrüßte die Lehrerin und stellte sich den Kindern als Polizeibeamter vor. Ein wildes Durcheinander entbrannte. Die engagierte Pädagogin ermahnte die Kinder zur Ruhe. Sie hielt ein winziges Glöckchen in die Höhe und klingelte. Das einstudierte Ritual funktionierte tadellos. Schweigend lauschten die Kinder seinen Ausführungen. Er gab sich Mühe, das Verschwinden der Mitschülerin möglichst unspektakulär zu beschreiben und stellte einige harmlose Fragen.
Keines der Kinder hatte die Vermisste am Wochenende gesehen oder getroffen.
»Ich dachte, sie ist bei ihrem Vater«, sagte ihre Tischnachbarin und offenbar beste Freundin.
Einige erinnerten sich daran, Manuela nach Unterrichtsende auf dem Spielplatz vor der Schule gesehen zu haben.
»Die hat mit ein paar anderen Fangen gespielt«, erinnerte sich ein Junge.
Der Pausengong erklang über einen Lautsprecher im Klassenraum. Die Kinder begannen wie selbstverständlich ihre Sachen zusammenzupacken, aber die Klassenlehrerin ermahnte sie nochmals zur Ruhe. Kepplinger schrieb seinen Namen und seine Telefonnummer an die Tafel und ermutigte die Kinder, ihn anzurufen, wenn ihnen etwas einfallen würde. Die Lehrerin verlangte, dass alle Kinder die Telefonnummer in ihr Hausaufgabenheft schrieben. Er bedankte sich für die Unterstützung, und schon stürmten die Grundschüler aus dem Klassenzimmer. Er reihte sich in den Strom der Kinder ein. Auf dem Flur stieß ihn ein strohblondes Mädchen an.
»Du, Herr Polizist.«
Kepplinger lächelte sie überrascht an. Ihre Arme waren so dünn wie die einer Puppe. Auf den ersten Blick wirkte sie zerbrechlich. Aber sie stand selbstbewusst vor ihm und forderte seine volle Aufmerksamkeit. Er beugte sich nach vorne und stützte sich mit beiden Händen auf den Knien ab.
»Ja?«
»Hast du schon mal versucht, Manuela anzurufen?«, fragte sie mit ihrer Piepsstimme.
»Eure Rektorin hat das bereits versucht. Aber bei Jessens ist niemand zu Hause. Ihrer Mutter geht es nicht gut. Sie liegt in einem Krankenhaus.«
»Nicht bei ihr zu Hause.« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich meine, ob du Manu auf ihrem Handy angerufen hast?«
Daran hatte er in keinem Augenblick gedacht.
»Manuela hat ein Handy?«, fragte er verwundert.
»Die meisten Kinder haben eins«, klärte ihn die Klassenlehrerin auf. »Nur dürfen sie es nicht mit in die Schule bringen.«
Das blonde Mädchen kannte die Nummer auswendig. Kepplinger notierte sich die Ziffern und lobte sie.
»Das war sehr gut, dass du mir das gesagt hast.« Das Mädchen errötete, lächelte über beide Backen und rannte den anderen Kindern hinterher. Auf dem Weg zu seinem Wagen spielte er mit dem Gedanken, die Nummer anzurufen. Aber dann besann er sich. Es war nicht auszuschließen, dass er Manuela mit dem Anruf in Gefahr brachte. Eine Panikreaktion auslöste, beispielsweise bei jemandem, der sie in seiner Gewalt hatte.
Er musste dringend mit seinen Kollegen darüber sprechen. Das Telefon war eine große Chance, Manuela ausfindig zu machen. Mit einem Mal hatte er es sehr eilig, zurück zur Dienststelle zu
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