Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
dem Telefonat mit Valerie.
»Vielleicht solltest du nochmal mit ihr sprechen.«
»Wozu? Im Grunde kann sie ja tun und lassen, was sie will. Es liegt einfach daran, dass ich die Trennung nicht akzeptieren kann, solange ich den Grund nicht kenne.«
Sie fuhren in einen nahegelegenen Wald. Lea wollte Moritz ihre Lieblingsstrecke zeigen. Die abwechslungsreiche Runde führte kreuz und quer durch die Wälder unterhalb des Hohenstaufens.
Nach eineinhalb Stunden kamen sie erschöpft am Ausgangspunkt an. Lea war eine gute Läuferin. Ihr Trainingstempo war wenig langsamer als sein eigenes. Vor allem bei längeren Läufen wäre sie eine gute Trainingspartnerin, dachte er. Alleine rannte er meistens viel zu schnell.
»Das war klasse«, sagte er begeistert, nachdem sich sein Puls erholt hatte.
»Fand ich auch. Zu zweit macht das Laufen einfach mehr Spaß.«
»Also?« Er grinste sie an.
»Also was?«
»Gehst du mit nach Athen?«
Lea blickte verlegen auf den Boden.
»Nee du, ich lauf wirklich keinen Marathon. Das ist mir zu weit.«
Ihre Stimme war ernst geworden, und er war nicht sicher, was sie ihm wirklich sagen wollte.
Leas Reaktion beschäftigte ihn bis weit nach Mitternacht.
Er saß alleine in seiner Wohnung und starrte an die Wand. Es ist seltsam, dachte er. Wenn ich eine Frau kennenlerne, mit der ich mich gut verstehe, stelle ich mir regelmäßig vor, wie es wäre, mit ihr zusammen zu sein. Abgesehen von den wenigen Abenteuern, auf die er sich eingelassen hatte, konnte man seine Beziehungen an einer Hand abzählen. Warum konnte es nicht einmal zu einer normalen Freundschaft kommen?
Während seine Gedanken zwischen Valerie, Lea und den Ereignissen der vergangenen Tage hin und her wechselten, fiel er in einen unruhigen Schlaf.
FREITAG
26. Juli 2013
E r war wieder durch die Nacht gelaufen. Plötzlich stand er vor dem Haus von Lars Kaufmann. Im Schlafzimmer brannte Licht, und die Fenster standen weit offen. Von Weitem hörte er Schüsse aus einem doppelläufigen Gewehr. Jemand lachte höhnisch. Ein Hund bellte. Aus dem Gebäudeinneren drangen Hilferufe an sein Ohr. Moritz wusste, dass er das Haus nicht alleine betreten sollte. Er bemerkte, dass die Haustür einen Spaltbreit offen stand. Im Schloss steckte ein Draht. Als er in den Flur trat, hörte er die Schreie schon deutlicher. Sie kamen aus den Bunkerräumen. Vorsichtig stieg er die Kellertreppen hinunter. Die schweren Metalltüren waren nicht versperrt. Er öffnete sie geräuschlos. Überall brannte Licht. Die Schreie wurden immer lauter. Unter dem Türspalt des Schlafzimmers gleißte grelles Licht hervor. Beim Versuch, einen Blick durch das Schlüsselloch zu erhaschen, wurde er von der Helligkeit der Scheinwerfer geblendet. Für einen Augenblick konnte er nichts mehr sehen. Dann ging er hinein. Der Anblick war grässlich. Am Boden lag der verweste Leichnam eines Kindes. Er wusste, dass es die gesuchte Manuela Jessen war. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass der leblose Körper vor ihm immer noch vor Schmerz und Scham zu wimmern schien. Er bemerkte Kaufmann, der hinter einer Kamera stand und diese grauenhafte Szene filmte. Wütend ging er auf ihn zu und wollte ihn zu Boden reißen. Kaufmann brüllte, er solle verschwinden. Seine Anwälte hätten ihm all das erlaubt.
Verzweifelt suchte er nach einem Ausgang, um Verstärkung zu rufen. Dabei geriet er immer tiefer in das Labyrinth aus verzweigten Gängen und Räumen. Die Schreie der Kinder hallten durch die Korridore. Plötzlich stand er in einem Raum mit einer Kegelbahn. Schwarze Kugeln donnerten mit ohrenbetäubendem Lärm über den Parkettboden. Er hielt sich die Ohren zu. Ein Betrunkener kam auf ihn zu. Er erkannte Gerd Jessen, der ihm etwas zurief. Fünfhundertneun Holz , sagte er immer wieder. Fünfhundertneun Holz .
Erschrocken fuhr er auf und rieb sich die Augen. Es dauerte einige Zeit, bis ihm klar war, wo er sich befand. Es war vier Uhr zweiunddreißig. Er ging auf die Toilette, duschte und zog frische Kleider an. Anschließend wechselte er den verschwitzten Bettbezug und legte sich wieder hin. Doch er drehte sich nur unruhig von einer Seite auf die andere. Er erinnerte sich an sein Gefühl, dass es eine Wende in dem Fall geben würde. Seine Vorahnung hatte sich bestätigt. Aber er war sich nicht sicher, ob er die Anspannung noch lange aushalten würde. Der Traum war eine Warnung. Er durfte eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Er fühlte sich wie ein Behälter, der bald platzen würde.
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