Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
wir es mit einem Suizid zu tun oder weiß Gott was. Falls nicht, woher wissen wir, ob die Tat in Süßen verübt wurde und wann?«
Die Tatsache, dass Brandstätter seinen Einfall derart pragmatisch hinterfragte, machte Moritz wütend. »Das ist alles richtig, und ich habe mir ebenso über alle möglichen Szenarien den Kopf zerbrochen. Abgesehen davon, habe ich nicht von einem Mörder gesprochen. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass sich in irgendeiner der Überwachungskameras, meinetwegen im Umkreis von zehn Kilometern, das Bild von jemandem befindet, der mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun hat. Vielleicht sitzt sie sogar daneben, wer weiß!«
»Sie haben recht, Kepplinger. Es könnte sein. Wie stellen Sie sich das vor?«
»Wir lassen uns so schnell wie möglich alle Daten der in Frage kommenden Kameras schicken. Wenn es sein muss, hole ich die Auszüge selbst ab.«
»Heute ist Freitag, mein lieber Herr Kommissar«, gab Brandstätter zu bedenken.
»Und wenn schon.« Er rang um seine Beherrschung. »Dann müssen die Damen und Herren des Ordnungsamtes eben Überstunden machen.«
Brandstätter blickte auf die Wanduhr. Es war zwanzig Minuten nach zehn. »Gut, Kepplinger. Ich kümmere mich darum.«
Er hatte den Wagen in Sichtweite des Wohnhauses abgestellt und beobachtete den Eingangsbereich und die beiden Fenster, die er von seiner Position aus sehen konnte. Alles war ruhig. Einmal fuhr ein Lieferwagen mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbei. In der Ferne vernahm er Kindergeschrei. Vermutlich befand sich hinter der Lärmschutzwand auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Spielplatz. Er streifte sich den grauen Arbeitskittel über, auf den er das Logo eines Versandhauses hatte nähen lassen. Die dazugehörige Schildmütze hatte er vor längerer Zeit bei einem Bekannten mitgehen lassen. Er setzte eine Sonnenbrille auf und betrachtete sich im Rückspiegel. Die Verkleidung war perfekt. Niemand würde ihn erkennen. Auch nicht der Mann in der Wohnung, für den Fall, dass er zu Hause war. Er griff nach dem Paket auf dem Beifahrersitz und machte sich auf den Weg. Im Schutz einer Doppelgarage blieb er kurz stehen.
Er erschrak, als hinter ihm erneut ein Fahrzeug die Straße entlangfuhr. Du bist zu ängstlich. Du möchtest nur ein Paket zustellen, versuchte er sich zu beruhigen. Zu Hause hatte er alles sorgfältig geplant. Sogar einige Sätze einstudiert, für den Fall, dass er angesprochen wurde.
Als er sich beruhigt hatte, trat er aus seiner Deckung hervor und machte sich auf den Weg zum Eingang des Mehrfamilienhauses. Beruhigt las er den Namen auf einem Briefkastendeckel. Alles lief wie geplant. Trotzdem stand ihm der schwierigste Teil noch bevor. Er verspürte den Wunsch, die Klingel zu betätigen und sofort mit seinem Vorhaben zu beginnen. Aber dann beherrschte er sich und warf einen letzten Blick auf die Eingangstür. Rasch ging er zu seinem Wagen zurück. Erleichtert ließ er sich in den Sitz fallen und spürte, wie sich sein Pulsschlag beruhigte. Er griff nach seinem Notizbuch und ging die weiteren Vorbereitungen durch, die er noch treffen musste. In weniger als vierundzwanzig Stunden würde er seinen Plan in die Tat umsetzen.
Morgen werde ich ihn für alles bestrafen, was er mir angetan hat.
Kepplinger hasste es, stundenlang zu telefonieren. Überhaupt war ihm die Arbeit an einem Tatort oder eine anstrengende Vernehmung lieber, als den ganzen Tag im Büro zu sitzen. Das Einzige, was er dort gerne tat, war, sich gedanklich in einen Fall zu vertiefen und verschiedene Konstruktionen zu entwickeln.
Nachdem er beinahe den gesamten Vormittag am Telefon verbracht hatte, lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und tastete nach der Verletzung an seinem Arm. Sie schmerzte kaum noch. Dann las er sich nochmal seine Notizen durch. Mit Alexander Giebel hatte er vereinbart, Susanne Jessen nicht mit dem Leichenfund zu konfrontieren, bis sie Gewissheit hatten, ob es sich um ihre Tochter handelte.
»Dann ist es früh genug, ihr die Wahrheit zu sagen. Wussten Sie, dass Sie schon einmal ein Kind verloren hat?«
Kepplinger war schockiert über die Neuigkeit.
Danach hatte er mit einem der Kollegen aus Stuttgart gesprochen. Lars Kaufmann verweigerte nach wie vor jede Aussage. Am Morgen hatten ihm die Ermittler erneut eine Tatbeteiligung im Fall Manuela Jessen vorgehalten, doch seine Anwälte bestritten beharrlich seine Täterschaft.
»Wir können keine Aussage aus ihm herausprügeln«, hatte der Kollege mit einem
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