Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Mineralwasser. Der Grieche zeigte sich überrascht, dann zwinkerte er ihm zu.
»Ich verstehe. Wegen Marathontraining.«
Kepplinger schüttelte resigniert den Kopf.
»Wegen meiner Arbeit. Ich komme gar nicht zum Laufen.«
Alexandros setzte sich neben ihn auf die Bank und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Jetzt bist du erst einmal hier. Vergiss die Arbeit. Du kannst nicht zwei Dinge auf einmal tun. Und du musst etwas Richtiges essen. In Griechenland sagen wir, ein hungriger Bär tanzt nicht. Verstehst du, was das bedeutet?«
Lea Thomann saß auf der Couch und beobachtete die Reflexionen des Wetterleuchtens, die die Jalousien an die Decke des Wohnzimmers warfen. Bald würde das Gewitter näher kommen und die ersehnte Abkühlung bringen. Sie dachte an das Telefonat mit der Lebensgefährtin von Gerd Jessen, das sie gerade geführt hatte. Seitdem hantierte sie unruhig mit ihrem Mobiltelefon und wusste nicht, ob sie Moritz noch anrufen sollte. Was sie erfahren hatte, war durchaus aufschlussreich und würde ihn sicher interessieren. Aber war es so dringend? Es war beinahe Mitternacht. Bestimmt schlief er bereits. Sie legte das Telefon beiseite und beschloss, ihn am nächsten Morgen zu informieren.
Die schwülwarme Luft im Schlafzimmer machte Moritz beinahe wahnsinnig. Die angekündigten Sommergewitter waren bislang ausgeblieben. Immer wieder wendete er die Decke und genoss für ein paar Augenblicke die Abkühlung. Es war schon halb zwei, und er hatte noch keine Minute geschlafen. Der Fall ließ ihm keine Ruhe. Immer wieder mischten sich neue Einfälle in die Gedankenkonstruktionen, gerieten in Vergessenheit oder endeten in einer Sackgasse aus offenen Fragen.
Obwohl er bei Alexandros entgegen seines Vorhabens ein Viertel Rotwein getrunken hatte, stellte sich keine Müdigkeit ein. Er musste an die griechische Redensart denken, die der Wirt zitiert hatte, nachdem er ihm einen kleinen Einblick in seine Ermittlungen eröffnet hatte.
Von Kindern und von Verrückten erfährst du die Wahrheit.
Er musste an die Befragung der Mitschüler von Manuela denken. Hatte er dort etwas Wichtiges übersehen oder überhört? Suchten sie einen Verrückten? Möglich war alles. Jemand, der ein Kind in seinen Wagen zerrte und anschließend tötete, musste verrückt sein.
Psychisch krank. Was auch immer.
Er zweifelte daran, jemand Unbescholtenes könnte zu so einer Tat fähig sein. Wer so etwas tut, muss vorher in irgendeiner Form auffällig gewesen sein oder etwas Vergleichbares getan haben, stellte er sich vor.
War der Mord der Beginn einer Serie? Er beschloss, mit einem Fallanalytiker des Landeskriminalamtes darüber zu sprechen. Wieder fielen ihm Täschlers Worte ein: Man sieht nur, was man weiß .
Moritz war verzweifelt. Was sah er nicht? Was wusste er nicht?
Am Vortag, nachdem er alle Akten sorgfältig studiert hatte, war er sicher gewesen, nichts übersehen zu haben. Doch es gab eine entscheidende Sache, die er noch nicht erkannt hatte.
Etwas raubte ihm die Sicht auf das Wesentliche.
Auf das, worum es in diesem Fall ging.
Ein Motiv.
Kurz vor elf hatte ihr Telefon geklingelt. Im ersten Moment hatte sie gedacht, es wäre ihre Mutter, die die Woche über immer wieder versucht hatte, sie zu erreichen. Lea hatte sich auf eine Standpauke eingestellt und das Gespräch angenommen.
»Ja!«
Keine Antwort.
»Hallo, wer ist am Apparat?«
Jemand atmete kurz hintereinander ein und aus.
»Haben Sie ihn gefunden?«
Lea erkannte die Stimme der Lebensgefährtin von Gerd Jessen.
»Frau Behrens, sind Sie es?«
»Ich mache mir große Sorgen.«
»Was denken Sie, wo er sein könnte?«
»Wenn ich es wüsste, würde ich Sie nicht anrufen.«
»Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt?«
»Gestern. Er hat mir erzählt, dass Sie eine Kindsleiche gefunden hätten.«
»Und dann? Hatten sie vereinbart, sich zu treffen? Oder warum machen Sie sich nun Sorgen?«
»Gerd sagte, er würde im Laufe des Tages vorbeikommen.«
Claudia Behrens Stimme klang ernst. Geradezu verängstigt. Fünf Stunden zuvor hatte dieselbe Frau den Eindruck erweckt, ihr Lebensgefährte und die Arbeit der Polizei wären ihr völlig gleichgültig. Wie verzweifelt sie war, wurde Lea mehr und mehr bewusst.
»Ich habe Angst, dass er etwas Unüberlegtes tut!«
»Wieso sollte er das machen?«
»Sie haben ihn doch kennengelernt. Er trinkt viel und tickt manchmal völlig aus. Und jetzt das mit seiner Tochter. Was wollten Sie eigentlich heute Abend von ihm?«
Lea zögerte
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