Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Es ist Samstag. Wir müssen arbeiten, und ich lade dich zum Frühstück ein.« Sie zog eine Tüte mit Croissants aus ihrer Tasche.
»Gute Idee. Vielen Dank.«
Als sie sich aus dem Büro der Sekretärin einen Kaffee genommen hatten, erzählte Lea von dem Telefonat, das sie am Vorabend mit der Lebensgefährtin von Gerd Jessen geführt hatte.
Aufmerksam hörte er ihr zu.
»Erinnerst du dich daran, dass Susanne Jessen ein Ereignis erwähnt hat, über das sie nicht sprechen wollte, das ihrer Ansicht nach aber der Auslöser für die Veränderungen ihres Mannes war?«, fragte Moritz.
»Stimmt. Damals hatte er angefangen zu trinken.«
»Die Frage ist, ob beide Frauen dasselbe meinen.«
»Als Claudia Behrens davon anfing, dachte ich sofort an das Kind, das die Jessens während der Schwangerschaft verloren haben.«
»Susanne Jessen sprach von einem Vorfall vor Manuelas Geburt.«
»Du hast recht. Ich erinnere mich.«
»Wir fahren nach der Besprechung zu Jessen und reden mit ihm.«
Lea griff nach einem Marmeladenglas und schraubte den Deckel ab. »Und woher haben wir die Information? Ich meine, können wir die Behrens zunächst mal raushalten?«
»Ich glaube, es wird Jessen überhaupt nicht interessieren, woher wir das wissen.«
Allmählich kam er zu sich. Nach und nach wurde ihm klar, dass er die ganze Nacht auf dem Küchenboden geschlafen hatte. Als er sich aufrichtete, überkam ihn die Übelkeit. Gerd Jessen schleppte sich ins Bad und übergab sich. Als er in die Küche zurückkehrte, fühlte er sich besser. Ungläubig betrachtete er die Flaschen, die auf dem Küchentisch standen und auf dem Boden verteilt lagen. Er verstaute das Leergut in einem Schrank unter der Spüle und setzte Wasser auf. Danach ging er nach draußen und holte die Tageszeitung aus dem Briefkasten. Als er zurückkam, bemerkte er das Blinklicht des Anrufbeantworters. Im Vorbeigehen drückte er auf die Wiedergabetaste. Die Stimme des Kommissars klang besorgt. Jessen kauerte auf dem Stuhl neben der Telefonkommode und hörte zu.
Guten Abend, Herr Jessen, hier spricht Kepplinger von der Kriminalpolizei. Wir haben bereits mehrfach versucht, Sie zu erreichen. Es geht um die Mädchenleiche … vielmehr das tote Kind, das im Wald gefunden wurde. Längere Pause. Bitte rufen Sie mich umgehend zurück. Danke!
Die Nachricht erschütterte ihn. Der Anruf konnte nichts anderes bedeuten, als dass Manuela identifiziert worden war. Die Vorstellung, seine Tochter nie wiederzusehen, war unfassbarer und schmerzhafter als alles andere zuvor. Wie in Trance drückte er die Resettaste des Geräts. Als ob der Löschvorgang das Ereignis ungeschehen machen könnte. Er setzte sich an den Küchentisch und jammerte wie ein krankes Tier.
Das Pfeifen des kochenden Wassers holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Umständlich goss er sich eine Tasse Instantkaffee ein und verbrannte sich beim ersten Schluck den Rachen. Hastig spülte er seinen Mund mit kaltem Leitungswasser aus. Nachdem die Schmerzen nachließen, übermannte ihn erneut die Trauer. Er erinnerte sich, wie seine Exfrau vor dem Wagen zusammengebrochen war. Sie hatte es von Anfang an gewusst, dachte er. Einen Moment lang verspürte er das Bedürfnis, zu ihr in die Klinik zu fahren. Aber dann beschlich ihn dieselbe Angst wie am Vorabend. Eine Befürchtung, die ihm zunehmend den Verstand raubte. Er ging zurück in die Küche und füllte die Kaffeetasse bis an den obersten Rand mit Rum. Hastig trank er die Mischung in großen Schlucken leer.
Der Alkohol verstärkte seine Angst. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob seine Befürchtungen zutrafen. Während er darüber nachdachte, wie er vorgehen sollte, steigerte er sich in eine grenzenlose Wut hinein. Er ging in das Wohnzimmer, griff nach einem Pokal auf dem Sideboard und warf ihn mit voller Wucht in die Glasvitrine. Anschließend schlug er wie ein Besessener mit einem Stuhl auf den Schaukasten ein. Erst als er sich an einer zerbrochenen Scheibe eine Schnittwunde an der Hand zuzog, hörte er auf. Dann fing er laut fluchend damit an, die Fotografien zu zerreißen. Bevor er zum Telefonhörer griff, setzte er die halbvolle Rumflasche an den Mund und trank sie ohne abzusetzen leer. Dann tippte er mit hasserfülltem Blick die Zahlenfolge ein. Nach dem Telefonat riss er das Anschlusskabel aus der Steckdose. Anschließend ging er in die Küche und öffnete eine weitere Flasche.
Das Telefonat, das Lea Thomann am Abend zuvor mit Claudia Behrens geführt hatte, war
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