Hochzeit auf griechisch
erlesenen Geschmack“, meinte Leon anerkennend. „Dem Bericht zufolge, den mein Vater über ihn erstellen ließ, war er ein sehr intelligenter,moralisch absolut integrer und allgemein geachteter Professor.“
„Ein Bericht!“, rief Helen aus und wirbelte zu ihm herum. Der Teller mit den Sandwiches in ihrer Hand schwankte bedenklich.
„Lassen Sie mich das nehmen.“ Er streckte die Hand aus und griff nach dem Teller. Nachdem er ihn auf den Tisch gestellt hatte, begann Leon, mit offensichtlichem Genuss zu essen.
„Ihr Vater hat tatsächlich Nachforschungen über meinen Großvater angestellt?“
„Natürlich“, antwortete er kühl. „Damit meine Schwester die Erlaubnis bekam, dieses Haus zu besuchen, mussten Sie und Ihr Großvater die passende Gesellschaft für sie sein. Offensichtlich hat sich das über die Jahre geändert. Doch weder mein Vater noch ich wussten von diesem Umstand. Delia war in dieser Hinsicht sehr einfallsreich.“ Er trank noch einen Schluck Wein. „Ich erinnere mich an eine Karte zu Weihnachten, die Sie vor drei Jahren an Delia geschickt haben. Darauf war ein Cartoon abgebildet. Mein Vater hat sich köstlich amüsiert. Er hat nach Ihnen gefragt und vorgeschlagen, Sie wieder einmal einzuladen. Delia erzählte uns von dem Schlaganfall Ihres Großvater und dass Sie sich um ihn kümmerten. Abgesehen von den Karten zu Weihnachten und zum Geburtstag hätte sie keinen Kontakt mehr zu Ihnen.“ Spöttisch hob er eine Augenbraue. „Ich verstehe allmählich, dass meine unschuldige kleine Schwester genau wie alle anderen Frauen war: Hinterlistig wie der Teufel und eine perfekte Lügnerin“, bemerkte er und griff nach dem zweiten Sandwich.
Schon öffnete Helen den Mund, um ihre Freundin zu verteidigen, dann schloss sie ihn wieder. Was sollte sie auch sagen? Indem sie Nicholas bei sich aufgenommen hatte, erklärte sie sich mit jedem Märchen einverstanden, das Delia ihrer Familie auftischen mochte. Und währendHelen gehofft hatte, Delia würde zur Vernunft kommen und alles gestehen, war diese mit etwas ganz anderem beschäftigt gewesen: jede Spur zu löschen, die vielleicht zu Helen und Nicholas führen könnte.
„Setzen Sie sich, und trinken Sie etwas. Sie sehen gar nicht gut aus.“
Sie ließ sich auf einen der Stühle sinken. Ihre Hand zitterte leicht, als sie nach dem Weinglas griff. Alkohol trank Helen nur selten, weil er ihr sofort zu Kopf stieg. Aber Leon hatte recht, sie stand unter enormer emotionaler Anspannung. Erst nach und nach begriff sie, was für einer Ungeheuerlichkeit sie zugestimmt hatte. Natürlich hatte Helen ihrer besten Freundin helfen wollen. Aber ganz uneigennützig konnte sie die eigenen Motive nicht nennen.
Vor dem Tod ihrer Eltern hatte sie wie ein glücklicher selbstsicherer Teenager gelebt. Die Wünsche und Träume jedes jungen Mädchens waren Helens Lebensinhalt gewesen. Schule, College, eine Karriere, dann Liebe, Ehe und Kinder. Doch der Skiunfall hatte alles verändert. Ihr nahezu idyllisches Leben war zersplittert. Sosehr sie ihren Großvater auch liebte, die Eltern hatte er nicht ersetzen können.
Delia war damals der Lichtblick in ihrem Leben geworden. Dennoch hatte Helen abgelehnt, als die Freundin sie zum ersten Mal vor vier Jahren um Hilfe bat. Erst nach dem Tod ihres Großvaters im April änderte sie ihren Entschluss. Delia war zur Beerdigung gekommen.
In tiefer Trauer und zum ersten Mal in ihrem Leben vollkommen allein, war Helen die Idee mit einem Mal nicht mehr ganz so verwerflich erschienen. Sich um Nicholas zu kümmern kam ihr vielmehr vor, als würde ein Traum wahr.
„Mehr Wein?“, unterbrach Leon ihre Gedanken und hielt ihr die Weinflasche entgegen.
Helen blickte auf. Ihre Wunschvorstellungen hatten sichin den schlimmsten Albtraum verwandelt. Überrascht stellte sie fest, dass ihr Glas leer war.
„Nein, vielen Dank“, wehrte sie ab. Für das, was nun unweigerlich folgen musste, brauchte sie einen klaren Kopf.
„Wie Sie wünschen“, erwiderte er und schenkte nur sich nach.
Während er trank, beobachtete sie seinen Mund, und die Kehle, als Leon den Wein schluckte. Fasziniert schweifte ihr Blick tiefer, zu dem geöffneten Hemdkragen, unter dem einige schwarze Härchen hervorlugten. Unvermittelt pochte das Blut heiß in ihren Adern und sammelte sich tief in ihrem Inneren.
Sie öffnete den Mund, um etwas, irgendetwas zu sagen. Aber kein Laut drang über ihre Lippen. Sie saß einfach nur da, errötet vor Scham und gefangen in einer
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