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Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Georg Kaufmann
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frisches Wasser und leerte den Aschenbecher aus dem Fenster. Den Redaktionsdiener, der mir einen Stapel neuer Meldungen bringen wollte, warf ich hinaus. Dann verließ ich die Redaktion.
    Auf der Straße fühlte ich mich nicht besser. Dort gab es nicht einmal etwas zu gießen oder auszuleeren. Ähnlich war es im Café, in dem ich mich mit Isabell für Viertel nach sieben verabredet hatte. Um acht war sie noch immer nicht da.
    Warten ist eine Sache, die nur scheinbar von der Zeit abhängig ist. In Wirklichkeit hängt die Zeit vom Warten ab. Das Warten zersetzt die Zeit, wertet sie um und macht aus Minuten Stunden und umgekehrt, je nachdem, auf was man wartet.
    Ich wartete tausend Stunden.
    Warten ist aber auch die hohe Schule der Phantasie. In keiner anderen Situation ist unser Gehirn solcher Kombinationen fähig.
    Warum kommt sie nicht?
    1. Kombination: Sie hat die Straßenbahn verpaßt.
    2. Kombination: Sie hat einen Bekannten getroffen.
    3. Kombination: Sie hat die Verabredung vergessen.
    4. Kombination: Sie wartet woanders.
    5. Kombination: Sie wartet zu einer anderen Zeit.
    6. Kombination: In der Familie hat sich jemand den Fuß gebrochen.
    7. Kombination: Sie hat sich selbst den Fuß gebrochen.
    8. Kombination: Sie hat genug von dir.
    9. Kombination: Sie betrügt dich.
    10. Kombination: Sie betrügt dich, ai. Kombination: Sie betrügt dich.
    12. Kombination:?
    Ich stürzte in die Telefonzelle und rief bei ihr zu Hause an.
    Eine Männerstimme meldete sich.
    »Würden Sie bitte so freundlich sein, Fräulein Isabell — «
    »Wer spricht?«
    Ich nannte den Namen eines meiner Kollegen.
    »Meine Tochter ist ausgegangen.«
    Klack! Wir waren getrennt.
    »Kommt sie nicht?« fragte das Mädchen hinter der Theke, nachdem ich meinen sechsten Cognac genommen hatte.
    »Wer?«
    »Die Dame, auf die Sie warten.«
    »Ich warte auf keine Dame«, sagte ich trotzig.
    »Schade«, erwiderte sie, »ich habe eine Schwäche für Männer, die umsonst warten. Sie wirken so wunderbar stupid.«
    Einige Zeit später entdeckte ich, daß ich vor ihrem Haus stand und zu der erleuchteten Fensterreihe hinaufstarrte, hinter der ihre Wohnung lag. Warum war ich kein Fassadenkletterer geworden? Ich wäre nicht auf den wenig aussichtsreichen Gang über die Treppen angewiesen gewesen.
    Im ersten Stock legte ich eine Pause ein, um mir eine Zigarette anzustecken. Ich legte den Mantel über das Geländer, um bequemer nach den Streichhölzern kramen zu können, als sich mir gegenüber die Tür öffnete und eine Dame heraustrat. Auf den ersten Blick erkannte ich, daß sie zu jener Gattung Mensch zählt, die ständig den Drang verspürt, ihren Mitmenschen zu helfen.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte sie besorgt.
    »Doch, doch«, versicherte ich hastig, »ich fühle mich ausgezeichnet.«
    »Suchen Sie jemand?«
    Ja, das war es, ich suchte jemand.
    »Wenn Sie mir den Namen sagen, ich weiß über alle Leute Bescheid.«
    Ich glaubte ihr aufs Wort. Wenn sie bloß nicht so laut gewesen wäre. Ich hörte schon, wie die Nachbarin diskret das Guckloch öffnete.
    »Sie suchen gewiß Frau Agathe, nicht wahr?« schnupperte sie mit der Freude eines Jagdhundes, der das Wild wittert. »Freilich, bei der geben sich ja die Männer die Klinke in die Hand.«
    »Keine Dame«, stammelte ich, »keine Dame.«
    Sie war sichtlich enttäuscht: »Keine Dame?«
    »Ich suche«, ja, wen suche ich denn? — »ich suche den Herrn Professor Nedomar. So einen kleinen Herrn mit Spitzbart, wissen Sie!«
    Sie dachte drei Sekunden angestrengt nach, die ich dazu benützte, meinen Rückzug einzuleiten.
    »Nedomar«, sagte sie ehrlich bekümmert, »nein, von einem Professor Nedomar habe ich noch nichts gehört. Vielleicht, daß Frau Swoboda, meine Nachbarin — «
    Als ob sie nur auf das Stichwort gewartet hätte, stand Frau Swoboda schon unter uns.
    »Nedomar«, rief sie eifrig, »war das nicht der ulkige Kauz im vierten Stock, der im vorigen Jahr gestorben ist, und bei dem sie die Wohnung vergasen mußten, weil sie völlig verwanzt war?«
    »Gestorben!« sagte ich, indem ich im Rückwärtsgang immer schneller dem Parterre zustrebte. »Ganz richtig, gestorben! Der Ärmste! Daß ich das bloß vergessen konnte. Herzlichen Dank! Vielen herzlichen Dank!«
    Kreischend verschlang mich die Falltür.
    Drei Gassen weiter, als ich mich wieder in Sicherheit fühlte, erstand ich die neuesten Zeitungen. Gewohnheitsgemäß überflog ich die Schlagzeilen: Krisenstimmung in Afrika, Wortgefechte bei der UNO

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