Hochzeit auf Raten
sollen weitergehen!« fuhr sie der Polizist an.
Gekränkt verschwand sie im Dunkel der Nacht.
Als wir allein waren, gab er mir den Ausweis zurück.
»Was ist Ihnen da eingefallen?« fragte er kopfschüttelnd.
»Berufspech«, erwiderte ich kleinlaut, »Reportage über das Nachtleben.«
»Dann seien Sie in Zukunft vorsichtiger! Gute Nacht!«
Niedergeschlagen schlich ich heimwärts. Im Vorbeigehen warf ich noch einen Blick in das Café.
»Jemand nach mir gefragt?« erkundigte ich mich.
»Niemand!«
Zu Hause war es das gleiche. Kein Anruf, kein Brief, keine Nachricht.
Ich warf mich in den Kleidern aufs Bett und starrte, die Hände unter dem Kopf verschränkt, zur Decke. Die Gedanken sausten durch die Gehirnganglien wie Eisenbahnzüge über ein Schienennetz, dessen Weichen zu funktionieren aufgehört hatten.
Ich dachte daran, daß unser Metteur seit zwei Tagen einen neuen Arbeitsmantel trug und daß der Buchstabe R im UPI-Fernschreiber ausgefallen war. Die jüngste Novelle des »Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes« würde voraussichtlich im Herbst neuerlich novelliert werden müssen. Unverständlich, mit welcher Leichtfertigkeit unsere Parlamentsabgeordneten heutzutage Gesetze beschlossen. Ja, und die Parlamentsstenografin würde nun doch heiraten, obwohl sie seit Jahren jedermann erklärte, sich eher ertränken zu wollen, als sich auf einen einzigen Mann festzulegen. Wahrscheinlich war ein Baby unterwegs.
Ich richtete mich wieder auf. Wenn das so weiterging, war die Erhaltung meines Verstandes nur noch die Angelegenheit von Stunden. Ich lehnte es aber ab, wegen einer Frau in die Gummizelle zu kommen.
Nach etlichen unsicheren Tastversuchen fischte ich einen Band vom Bücherregal, den ich erst vor wenigen Tagen in unserer Buchecke besprochen hatte. Es schien an der Zeit, mich auch einmal mit seinem Inhalt vertraut zu machen.
»Der Scheidungsanwalt«, stand auf dem Einband.
Der Verfasser versprach in der Einleitung, in den folgenden achtundfünfzig Seiten eine Art »Erste Hilfe« für betrogene Eheleute liefern zu wollen, und zwar juristisch fundiert und allgemeinverständlich.
Genau das war es, was ich brauchte.
»Ihre Ehe steht unter keinem glücklichen Stern«, las ich. »Ihr Partner geht seine eigenen Wege. Noch wissen Sie nicht, welche Wege es sind, aber Sie ahnen bereits, daß es keine guten sind. Sie fragen sich mit Recht, was soll aus Ihren Kindern werden?«
Etwas irritiert überschlug ich die Seite.
»Sie sind von dem Gedanken gequält, daß der Fortbestand Ihrer Ehe nicht mehr gesichert ist. Sie wollen Klarheit.«
Ich hieb auf den Tisch, daß der »Scheidungsanwalt« einen Sprung in die Luft tat. So war es! Genauso!
»Vergessen Sie nicht, daß unser Gesetz keine sogenannte einverständliche Scheidung kennt, daß Sie also unter allen Umständen Gründe beziehungsweise Beweise vorlegen müssen. Es wird sich in solchen Fällen zumeist empfehlen, ein renommiertes Detektivbüro in Anspruch zu nehmen.«
Unwillkürlich zuckte ich zusammen und bekam glasige Augen. Mühsam buchstabierte ich weiter.
»Es sei denn, daß die häusliche Gemeinschaft nachweisbar bereits durch mehr als drei Jahre aufgelöst ist.«
Das war natürlich ein glatter Blödsinn. Wie konnte etwas aufgelöst sein, was nicht einmal einen einzigen Tag bestanden hatte? Oder — ich hielt den Atem an — oder sollte gerade darin meine Chance liegen? Sollte ich nach drei Monaten bereits einen Punkt ins Treffen führen können, auf den andere Unglückswürmer jahrelang warten müssen? War eine nicht existente häusliche Gemeinschaft nicht einer aufgelösten gleichzusetzen? In beiden Fällen war jedenfalls keine Gemeinschaft vorhanden, das stand nach den Gesetzen der Logik fest. Die Frage war nur, inwieweit das Gesetz logische Schlüsse anerkannte. Außerdem blieben noch die drei Jahre zu klären. Wenn eine häusliche Gemeinschaft drei Jahre lang aufgelöst sein mußte, dann mußte sie wohl vergleichsweise auch drei Jahre lang nicht existent gewesen sein.
Ja, da lag der Hase im Pfeffer. Unsere Gemeinschaft existierte erst seit drei Monaten nicht.
Nachdem ich mehrere Male aufgeregt um den Tisch gelaufen war, erkannte ich, daß ich ein kluger Kopf war. Wo stand denn geschrieben, daß diese nicht bestehende Gemeinschaft erst ab unserem Hochzeitstag bestand? Sie bestand seit unserer Geburt, noch mehr, sie bestand schon Millionen Jahre, bevor wir selbst bestanden hatten. Diese nicht bestehende Gemeinschaft hatte seit jeher
Weitere Kostenlose Bücher