Hochzeit auf Raten
Liebhaber in einer Person. Er war die lebende
Widerlegung der Auffassung, die Italiener seien faul. Wir haben nie herausbekommen, wann er schlief. Tagsüber oblag er seinen verschiedenen Berufen, des Nachts befuhr er das Meer und besuchte seine Bräute, von denen er je eine in Ischia Ponte, in Porto, Casamicciola, Lacco Ameno, Forio und San Angelo hatte.
Er war aber auch der lebende Beweis dafür, daß die Italiener ehrliche Leute sind. Er bewahrte das Geld und die Wertsachen der Gäste ebenso wie seine eigenen in einer Lade auf, die nicht einmal ein Schloß besaß. Auf diesem Reichtum aß und trank er, erledigte die Post und bewirtete seine Freunde aus der Umgebung, die manchmal wie die Heuschrecken über ihn hereinbrachen. Die Zimmertüren hatten zwar Schlösser, aber keine Schlüssel.
»Ecco! In diesem Hotel keine Diebe! No!«
Das einzige, was mir an ihm nicht gefiel, war seine Schwäche für Isabell. Wann immer wir im Speisesaal erschienen, ließ er alles andere stehen und widmete sich ihrer Bedienung. Er brachte ihr die schönsten Trauben, die saftigsten Orangen und den süßesten Wein, selbst wenn er kurz zuvor den anderen Gästen erklärt hatte, daß er keine Trauben, keine Orangen und keinen süßen Wein mehr habe. Allfällige Proteste wehrte er mit einer höflichen Verbeugung und einem ergebenen »Ecco« ab, als wollte er damit zum Ausdruck bringen, daß es sinnlos sei, gegen Naturereignisse anzukämpfen. Wurde ein Gast allzu energisch, hörte er einfach auf, ihn zu verstehen.
Daß ich davon ebenfalls profitierte, war nur ein geringer Trost. Er schien geradezu einen sechsten Sinn zu entwickeln, Isabell allein anzutreffen. Ich brauchte nur meine Badehose zu holen oder die Kamera, schon tauchte er aus Küche, Keller oder seinem Büro auf, um sich ihr mit schmachtenden Augen zu nähern.
Meine Geduld war zu Ende, als ich ihn eines Tages mit Filippo nach Ischia Ponte brachte und er die kurvenreiche Straße dazu benützte, vom Rücksitz aus mit Isabell, die neben mir saß, in Tuchfühlung zu kommen.
»Gianluigi«, sagte ich zornbebend, »du solltest etwas besser auf deine Hände achtgeben!«
»Madonna mia«, bestätigte er eifrig, »Hände meine machen großes Spektakel.«
»Meinetwegen bei deinen Bräuten«, entgegnete ich scharf.
»O amico«, lachte er über das ganze Gesicht, als hätte er einen Totozwölfer gewonnen, »du mein Freund! Du haben beste, schönste Frau in tutto il mondo!«
Als ich am nächsten Tag von der Toilette zurückkehrte, fand ich ihn bereits wieder neben ihr, stolz und gelassen wie ein König, auf meiner Luftmatratze sitzend, die empörendsten Schmeichelworte auf den Lippen.
Da gab ich es auf. Es war wirklich ein Naturereignis.
Das Gegenstück zu Gianluigi war sein Bruder Giuseppe.
Er war immer nach dem neuesten Chic gekleidet und beherrschte einige Brocken deutsch und englisch, die er im Umgang mit Fremden raffiniert durcheinanderwarf. Von ihm habe ich viel gelernt, wenn es mir auch nicht gelang, das Rätsel seines dolce far niente zu ergründen.
»Was machst du eigentlich den ganzen Tag?« fragte ich ihn einmal.
»Noting«, sagte er stolz, »nichts!«, wobei er das englische nothing wie noting aussprach.
»Ist das nicht scheußlich langweilig?«
»No.«
»Man sieht dich immer nur für Stunden, wo steckst du sonst?«
»Bei meinem Bruder Cesare.«
»Und was machst du dort?«
»Noting.«
»Zum Kuckuck, von irgend etwas mußt du doch leben.«
Er sah mich ratlos an.
»Ich fragte«, erklärte ich ihm, »von was du lebst, von was du deine Anzüge kaufst, das Essen, den Wein?«
»Von noting.«
»Dein Anzug«, sagte ich, »ist gut und gerne seine vierzigtausend Lire wert.«
»Made in England. Ik war in London, in vergangene Winter.«
»Na also«, sagte ich befriedigt. »Was hast du denn in England gemacht?«
»Noting«, sagte er und grinste.
Ich konnte nicht umhin, nachdenklich zu werden. So gut gekleidet zu sein und einen solchen Ausdruck der Zufriedenheit im Gesicht zu tragen, einzig und allein von noting, war das nicht der Inbegriff echter Begnadung? Oder schwindelte mich
der Kerl bloß an? Ich habe es nie erfahren. Immerhin: sein Noting stand auf einer anderen Stufe als unser deutsches Nichts.
Von den Gästen war zweifellos ein deutscher Universitätsprofessor der interessanteste. Er befand sich schon zwei Monate hier, und nichts deutete darauf hin, daß er je wieder abreisen wollte. Seine Garderobe bestand aus einer Badehose und einem Hemd. Früh und mittags
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