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Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Georg Kaufmann
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trug er nur die Hose, ab Einbruch der Dunkelheit beides. Es wäre nicht uninteressant gewesen, zu erfahren, wie er es des Nachts hielt. Im bürgerlichen Beruf war er Ordinarius für reine Philosophie, also ein Nachfahre Diogenes', der sein Leben damit zubrachte, in einem Faß zu hausen und mit einer Kerze in den Straßen Athens nach einem Menschen zu fahnden. Diogenes II. arbeitete an einem bedeutenden Werk, an der fünften Form der Metaphysik. Schon im Morgengrauen hockte er auf der Terrasse, hingebungsvoll über eine kleine Reiseschreibmaschine gebeugt, wobei er jeden verächtlich musterte, der verschlafen zur Toilette tappte. Bei zunehmender Hitze verkroch er sich unter einem Sonnenschirm und gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Abends erschien er dann wieder und betrachtete mit verklärtem Lächeln das Meer. Es war die Stunde, in der er an seiner Existenz zweifelte. Allerdings schienen ihn diese Zweifel nur in den Augenblicken ernstlich zu quälen, da seine Augen versonnen an Isabells braungebrannten Beinen hingen.
    Der zweite war ein Maler, der mitunter auch erkennen ließ, daß er seine Frau bei sich hatte. Auch seine Frau malte, vorzüglich in einer der vielen Schluchten. Beide überließen uns ihre sich rasant vermehrenden Werke unaufgefordert zur Ansicht. Leider brachten wir nicht heraus, was sie malten. Isabell tippte auf Landschaften, ich auf Tiere. Das Ehepaar hat das Geheimnis seiner Kunst nie gelüftet.
    Nicht minder sonderbar benahm sich ein junges Paar, von dem es hieß, daß es sich in den Flitterwochen befände. Ihre Leidenschaft beschränkte sich auf das Lesen von Kriminalromanen, von denen sie drei Koffer voll mit hatten. Zwischendurch begab er sich in Unterwasserausrüstung auf den Meeresgrund, von wo er Krabben und ähnliches Getier zutage förderte, was sie mit kleinen, schrillen Schreien quittierte. Unser Kontakt mit ihnen bestand darin, daß sie uns eines Morgens um vier Uhr früh aus dem Bett und auf den 789 Meter hohen Epomeo trieben, wo wir sie mit dem Sonnenaufgang als Hintergrund fotografieren mußten. Als sie abreisten, entdeckten sie, daß ihr Flugzeug bereits am Vortag abgeflogen war. Bekümmert fuhren sie mit der Eisenbahn hinterdrein, nicht ohne uns vorher enthüllt zu haben, wo sie zu Hause waren: in Stuttgart.
    Von dem sechsten Gast spricht man am besten überhaupt nicht. Er wurde bereits kurz nach seiner Ankunft, als er in der Brandung auf rätselhafte Weise seine Hose verloren hatte, von einer vorbeiziehenden Reisegesellschaft aufgegriffen und in entblößtem Zustand ins Hotel gebracht. Von da ab litt der Ärmste an einem Sprachfehler und lief purpurrot im Gesicht an, sobald man das Wort an ihn richtete.
    Wir reihten uns würdig in diese bunte Gesellschaft ein. Wir standen spät auf, nahmen das Frühstück knapp vor dem Mittagessen ein und verlegten das Mittagsmahl in die Zeit des Nachmittagskaffees. Zwischendurch tranken wir eine Unmenge goldgelben Inselweins. Wo immer es anging, begaben wir uns in die Horizontale, am Strand, im Zimmer und auf den sonnenwarmen Fliesen der Terrasse. Jedwede Tätigkeit, die ein Stehen und Gehen erforderte, erschien uns widersinnig. Die Abende verdämmerten wir in süßer Versunken- und Betrunkenheit. Wir lasen keine Bücher und Zeitungen, wir verschmähten Rundfunk und Fernsehen und dachten nicht einmal mehr über das Geld nach, das wir ausgaben.
    »Liebling«, sagte sie am siebenten Tag unseres Aufenthaltes, »du hast mir bereits vor vier Tagen versprochen, das Wackeln des Tisches abzustellen.«
    »Ich erinnere mich daran«, entgegnete ich sanft.
    »Ich glaube, du müßtest ein Stück Karton unter das Tischbein schieben.«
    »Ganz recht, es ist die einfachste Sache von der Welt.«
    Als ich schließlich das Stück Karton durch einen Zufall auf der Straße zwischen Fontana und Serrara land, war der Tisch nicht zur Stelle.
    Als Italienfahrer von echtem Schrot und Korn zeigten wir uns entschlossen, genau das zu essen, was auch die Einheimischen aßen. Wir waren stolz darauf, nicht zu jenen zu gehören, die sich in Rom ausgerechnet Zwetschgenknödel oder ein Wiener Schnitzel bestellen. Ein Gericht, von dem wir schon zu Hause Schauriges gehört hatten, war gekochter Tintenfisch.
    Der Fehler war, daß uns Gianluigi unmittelbar nach dem heldenhaften Genuß des ersten Tintenfisches ein eben gefangenes und noch lebendes Exemplar unter die Nase hielt. Als ob der Todgeweihte geahnt hätte, daß er vor seinem Hinscheiden noch berufen war, wenigstens einem

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