Hochzeit auf Raten
Menschen ein für allemal den Appetit auf seinesgleichen zu verderben, ringelte er seine Polypenarme besonders eindrucksvoll um Gianluigis behaarten Unterarm und spie den Inhalt seiner Seele voll Ingrimm in die Luft.
Es kostete mich ein Übermaß an Sanftmut und Geduld, um die völlig verstörte Isabell einigermaßen zu beruhigen.
»Ich fühle es in einem fort krabbeln und kribbeln«, wimmerte sie und sah voll Scheu auf ihren Magen hinunter.
»Sei ohne Sorgen«, sagte ich, uneingedenk der Tatsache, daß man Frauen und Kindern nicht mit Logik kommen soll, »den du gegessen hast, der war schon längst tot.«
Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen: »Tot?«
»Mausetot.«
»Ich habe einen toten Tintenfisch gegessen?«
»Aber Liebes«, sagte ich ratlos, »alles Fleisch, das wir essen, stammt von toten Tieren. Das ist bei einem Huhn nicht anders.«
»Huhhh — und seine Augen! Hast du seine Augen gesehen?«
Mannhaft überwand ich ein Schaudern.
»Ich glaube«, tröstete ich sie, »die Augen hat der Professor bekommen.«
Unwillkürlich wanderten unsere Blicke in seine Richtung. Doch Diogenes II. hatte das Problem damit gelöst, daß er wieder einmal aufgehört hatte zu existieren.
Uns blieb nur der Schnaps. Nach etlichen Gläsern zeigte Isabell zunehmende Bereitschaft, an die Bewegungsunfähigkeit des von ihr verzehrten Tintenfisches zu glauben. Auch die Erkenntnis, daß sich der Mensch von toten Tieren nährt, verlor manches von ihrem Schrecken. Trotzdem blieb ein Trauma zurück, das jeden Psychoanalytiker in helles Entzücken versetzt hätte.
War sie bisher ohne Bedenken ins Meer gestiegen und hatte sie nie darüber nachgedacht, was sich unter ihr bewegen mochte, so schien ihr nun das Wasser von allerlei Seeungeheuern belebt zu sein, die nichts anderes im Sinn hatten, als sie zu stechen, zu beißen oder gar zu verschlingen. Das Schwimmen, bisher eine Quelle reiner Freude, wurde zu einem bedrückenden Abenteuer. Unablässig schielte sie nach angriffslüsternen Fischen und Quallen. Eine harmlose an der Oberfläche schaukelnde Zitronenschale war imstande, sie in die Flucht zu schlagen. Dazu wurde sie von der abergläubischen Vorstellung gequält, die Meeresbewohner könnten sich verschworen haben, den Tod ihrer von der Menschheit verspeisten Kollegen an ihr zu rächen.
Mit aufreizender Liebenswürdigkeit tischte Gianluigi weiterhin Fische und Polypen auf, als ob er es darauf angelegt hätte, uns nach dem Motto »Steter Tropfen höhlt den Stein« zu bekehren. Bald sahen wir auch in den Melanzane und Artischocken verkappte Fische, so wie unser Zimmer, das Bad, die Handtücher, die Zahnputzgläser, ja selbst die Toilette nach Fisch rochen. Wir feierten geradezu eine Orgie in Fisch.
Gianluigis Gewaltkur brach unseren Widerstand. Als wir entdeckten, daß er selbst die Pasta asciutta mit den Saugnäpfen von Polypen aufbesserte, entlockte uns dieser Anschlag nur mehr einen leisen Seufzer. Von da an waren wir Gianluigis Mustergäste. Wir erhielten auch den Ehrenplatz neben der Küche, wo es besonders kräftig nach Fisch roch und der Sand von der Terrasse in die Suppe träufelte.
Der Höhepunkt unserer kulinarischen Erlebnisse war aber fraglos die Stunde, da Isabells sehnlichster Wunsch, einmal Hummer mit Mayonnaise in unbeschränkter Menge essen zu können, in Erfüllung ging. Gianluigi hatte das Vieh extra atis Porto besorgt, da, wie er behauptete, in San Angelo kein Hummer so dumm sei, sich fangen zu lassen.
»Ich warne dich«, versuchte ich ihre freudige Erwartung zu dämpfen, »Hummer schmeckt fad und unangenehm süß.«
»Lächerlich. Warum wohl schwärmte dann alle Welt davon?« sagte sie überlegen.
»Weil Hummer sündhaft teuer ist.«
Sie sah mir zweifelnd ins Gesicht.
»Alles, was viel Geld kostet, ist nach landläufiger Auffassung wundervoll«, bekräftigte ich.
»Ach, du bangst wohl wieder einmal um deine Lire?«
Ich wehrte gekränkt ab: »Das zäheste Kotelett ist bekömmlicher als der schönste Hummer.«
»Woher weißt du das?«
»Das weiß jeder, der etwas in der Welt herumgekommen ist.«
»Hast du schon viel Hummer gegessen?«
»Es kommt nicht auf die Menge an.«
»Hast du überhaupt schon einmal einen Hummer gegessen?«
»Das ist eine Frage —«
»Ja oder nein?«
»Man muß nicht alles selbst erlebt haben, um es zu wissen —«
»Du hast also noch keinen Hummer gegessen?«
»Nein, ich —«
Ihr Lachen war schamlos.
»Ich habe davon gekostet«, sagte ich, »und das hat
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