Hochzeit des Lichts (German Edition)
werden sie von Neuem beginnen müssen. Doch heute legen diese aufgetürmten Felsklötze Zeugnis ab für die Menschen mit ihrer Maske aus Staub und Schweiß, die dazwischen herumgehen. Die wahren Monumente Orans sind immer noch die Steine.
Der Stein Ariadnes
Die Bewohner von Oran scheinen jenem Freund Flauberts zu gleichen, der sterbend ein letztes Mal auf diese unwiederbringliche Erde schaute und ausrief: »Schließt das Fenster, es ist zu schön.« Sie haben das Fenster geschlossen, sie haben sich eingemauert, sie haben die Landschaft entzaubert … Doch Le Poittevin ist gestorben, und nach ihm haben die Tage sich weiter den Tagen angereiht. Und ebenso führen jenseits der gelben Mauern Orans das Meer und die Erde ihre gleichgültige Zwiesprache weiter. Dies Beständige der Welt hat von jeher eine gegensätzliche Wirkung auf den Menschen ausgeübt. Es bringt ihn zur Verzweiflung und begeistert ihn. Die Welt sagt niemals nur eine Sache, von der man erst gepackt, bald aber ihrer überdrüssig wird. Doch schließlich siegt die Welt durch ihre Beharrlichkeit. Sie hat immer recht.
Bereits bei den Toren Orans erhebt die Natur ihre Stimme. Gegen Canastel hin liegt ungeheures Brachland, überwachsen mit duftendem Gestrüpp. Sonne und Wind reden hier nur von Einsamkeit. Oberhalb von Oran erhebt sich der Berg Santa-Cruz, die Hochebene mit den tausend Hohlwegen, die hinaufführen. Straßen, welche früher befahrbar waren, klammern sich an die Hänge der Hügel, die über dem Meer emporragen. Einige sind im Januar mit Blumen übersät. Gänseblümchen und Dotterblumen verwandeln sie in prunkvolle Alleen, weiß und gelb bestickt. Von Santa-Cruz ist schon alles gesagt worden. Doch wenn ich davon zu erzählen hätte, würde ich die Pilgerzüge, die an großen Feiertagen den steilen Hügel erklimmen, nicht erwähnen, sondern anderer Wallfahrer gedenken. Einsam schreiten sie über den roten Stein, erheben sich über die regungslose Bucht und weihen der Kargheit eine leuchtende und vollkommene Stunde.
Oran hat auch seine Sandwüste: den Strand. Nahe den Stadttoren gelegen, ist er nur im Winter und Frühling einsam. Es sind Flächen, übersät mit Goldwurz, bevölkert von kleinen, nackten Villen, inmitten von Blumen. Weiter unten rauscht dumpf das Meer. Schon lässt alles den Sommer erraten, Sonne und leichte Winde, das sanfte Weiß der Blüten, das grelle Blau des Himmels, auch die müßige Jugend, die dann den Strand bedeckt, die langen Stunden auf dem Sand und die plötzliche Milde der Abende. Jedes Jahr gibt es an diesen Ufern eine neue Ernte blühender Mädchen. Sie blühen offensichtlich nur einen Sommer. Das folgende Jahr ersetzt sie durch andere heiße Blüten, die im vergangenen Sommer noch kleine Mädchen gewesen waren, mit harten Körpern wie Knospen. Um elf Uhr morgens ergießt sich diese frische Schar, nur spärlich mit bunten Stoffen bekleidet, auf den Strand wie eine farbige Woge.
Man muss weitergehen – erstaunlich nah jedoch von diesem Ort, wo zweihunderttausend Menschen sich im Kreise drehen –, um eine unberührte Landschaft zu entdecken: lange, einsame Dünen, wo als einzige Spur der Menschen eine wurmstichige Hütte steht. Da und dort treibt ein arabischer Hirte die schwarzen und hellbraunen Flecken seiner Ziegenherde über die Gipfel der Dünen. Auf diesen Gestaden von Oran sind alle Sommermorgen wie die ersten der Welt. Jede Abenddämmerung scheint die letzte zu sein, eine feierliche Agonie, die bei sinkender Sonne durch ein Licht angekündigt wird, das alle Farben vertieft. Das Meer ist ultramarin, die Straße wie geronnenes Blut, der Strand gelb. Alles verschwindet mit der grünen Sonne; eine Stunde später sind die Dünen vom Mondlicht überrieselt. Nächte ohne Maß, unter einem Regen von Sternen. Manchmal werden sie von Gewittern durcheilt, und die Blitze gleiten die Dünen entlang, lassen den Himmel erbleichen und streuen auf den Sand und in die Augen orangeglühende Schimmer.
Doch dies kann man nicht mitteilen. Man muss es erlebt haben. So viel Einsamkeit und Größe prägen das unvergessliche Antlitz dieser Landschaft. Im frühen lauen Morgengrauen, wenn die ersten schwarzen und noch bitteren Wogen vorüber sind, zerteilt ein neues Wesen die so schweren Wasser der Nacht. Wenn ich mich an diese Freuden erinnere, fühle ich keine Reue, also waren sie gut. Nach so vielen Jahren sind sie noch lebendig, irgendwo in diesem Herzen, das doch schwer die Treue hält. Und ich weiß, dass heute noch, wollte
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