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Hochzeit des Lichts (German Edition)

Hochzeit des Lichts (German Edition)

Titel: Hochzeit des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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ich dorthin gehen, der gleiche Himmel seine Ladung von Wind und Sternen über die öden Dünen ausschütten wird. Hier finden wir noch die Unschuld.
    Die Unschuld jedoch braucht den Sand und die Steine. Und der Mensch hat verlernt, in ihrer Mitte zu leben. Das muss man schließlich annehmen, da er sich in dieser merkwürdigen Stadt verschanzt hat, in der die Langeweile ruht. Und doch macht diese Gegenüberstellung Oran so reizvoll. Als Hauptsitz der Langeweile, belagert von der Unschuld und der Schönheit, wird Oran umschlossen von einer Armee, die aus ebenso vielen Soldaten wie Steinen besteht. Und doch, wie wird in dieser Stadt zu manchen Stunden die Versuchung groß, zum Feind überzugehen! Die Versuchung, sich mit diesen Steinen zu identifizieren, sich zu vermengen mit diesem brennenden und unversöhnlichen Universum, welches die Geschichte und ihre Unruhen herausfordert! Es ist umsonst. Doch wohnt in jedem Menschen ein tiefer Instinkt, der weder der des Zerstörens noch der des Erschaffens ist. Es ist nur wichtig, mit nichts vergleichbar zu sein.
    Im Schatten der heißen Mauern Orans, auf dem staubigen Asphalt, vernimmt man zuweilen diese Einladung. Es scheint, dass für eine bestimmte Zeit der Geist, der ihr nachgibt, nicht hintergangen wird. Es sind Eurydikes Dunkelheiten und der Schlaf der Isis. Hier sind die Wüsten, wo der Gedanke sich wieder auffängt, wo die kühle Hand des Abends auf erregtem Herzen liegt. Auf diesem Ölberg scheint das Wachen unnötig; der Geist vereinigt sich mit den schlafenden Aposteln und stimmt ihnen zu. Hatten sie denn unrecht? Auch sie hatten ja ihre Erleuchtung.
    Denken wir an Cakia-Mouni in der Wüste. Er harrte dort lange Jahre, niedergekauert, unbeweglich, die Augen zum Himmel erhoben. Die Götter selbst neideten ihm diese Weisheit und das Los des Steines. In seinen ausgestreckten, steifen Händen nisteten die Schwalben. Doch eines Tages flogen sie fort und folgten dem Ruf ferner Länder. Und er, der in sich Begehren und Wollen, Ruhm und Schmerz abgetötet hatte, er weinte. So geschieht es auch, dass Blumen dem Felsen entsprießen. Bejahen wir den Stein, wenn es sein muss. Dieses Geheimnis und diese Begeisterung, die wir im menschlichen Antlitz erwarten, auch der Stein kann sie uns geben. Freilich, es könnte nicht fortbestehen. Doch was hat Bestand? Das Geheimnis des Gesichtes verschwindet, und wir werden von Neuem in Sehnsüchte verstrickt. Und wenn der Stein nicht mehr für uns vermag als das menschliche Herz, so kann er doch ebenso viel geben.
    »Nichts sein.« Seit Jahrtausenden hat dieser Schrei Millionen von Menschen aufgewühlt, im Kampf gegen Begierde und Schmerz. Das Echo drang hinsterbend bis hierher, durch die Jahrhunderte und die Ozeane hindurch, über das älteste Meer der Erde. Es prallt noch dumpf auf gegen die dicht gedrängten Klippen Orans. Jeder folgt hier in diesem Lande, ohne es zu wissen, diesem Rat. Wohlverstanden, es ist beinahe umsonst. Das Nichts kann man ebenso wenig erreichen wie das Absolute, doch da wir, wie ebenso viele Wunder, in den Rosen und dem menschlichen Leid ewige Zeichen empfangen, verwerfen wir doch nicht die seltenen Aufforderungen zum Schlaf, die die Erde uns gibt. Sie sind, die einen wie die anderen, voller Wahrheit.
    Dies mag der Faden der Ariadne für diese schlafwandelnde und wahnsinnige Stadt sein. Man erlernt dort die einstweiligen Tugenden einer gewissen Langeweile. Will man verschont bleiben, muss man »Ja« sagen zum Minotaurus. Es ist eine alte fruchtbare Weisheit. Über dem Meer, das am Fuß der roten Felsen schweigend ruht, genügt es, sich im richtigen Gleichgewicht zu halten, in der Mitte zwischen den beiden Massiven der Landvorsprünge, die links und rechts im hellen Wasser stehen. Im Keuchen eines Küstenboots, das über das Wasser kriecht, in strahlendes Licht gebadet, vernimmt man alsdann deutlich den erstickten Ruf nicht irdischer und funkelnder Kräfte: Es ist der Abschied des Minotaurus.
    Es ist Mittag, der Tag selber ist in der Schwebe. Der Reisende hat seinen Ritus erfüllt und empfängt den Lohn der Befreiung: den kleinen Stein, den er auf der Klippe aufliest, trocken und weich wie Goldwurz. Für den Eingeweihten ist die Welt nicht schwerer zu tragen als dieser Stein. Die Aufgabe des Atlas ist leicht, er muss nur die richtige Stunde erkennen. Somit versteht man, dass sich diese Ufer für eine Stunde, einen Monat, ein Jahr der Freiheit ergeben können. Sie nehmen wahllos durcheinander, ohne auf sie zu achten,

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