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Hochzeit des Lichts (German Edition)

Hochzeit des Lichts (German Edition)

Titel: Hochzeit des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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den Mönch, den Beamten oder den Eroberer auf. An manchen Tagen erwartete ich in den Straßen Orans die Begegnung mit Descartes oder Cesare Borgia. Es geschah nicht. Ein anderer wird vielleicht mehr Glück haben. Eine große Tat, ein großes Werk, die männliche Meditation verlangten früher nach der Einsamkeit der Wüsten oder des Klosters. Dort hielt der Geist seine Nachtwachen. Wo hielte man sie heute besser ab als in der Leere einer großen Stadt, die für lange Zeit in geistlose Schönheit eingebettet liegt?
    Hier ist der kleine Stein, sanft wie Goldwurz, zu Beginn von allem. Die Blumen, die Tränen – wenn man will –, Abschied und Kämpfe sind für morgen. In der mittäglichen Stunde, wenn der Himmel seine Lichtfluten in die unendliche und klingende Weite ergießt, gleichen die Riffe einer aufbrechenden Flotte, die in See stechen will. Diese schweren Galionen aus Fels und Licht zittern auf ihren Kielen, als wollten sie zu den Sonneninseln segeln. O Morgenstunden in Oran! Von den Höhen tauchen die Schwalben in unermessliche Becken brodelnder Luft. Die ganze Küste ist zum Aufbruch bereit, der Schauder des Abenteuers liegt über ihr. Morgen, vielleicht, werden wir zusammen fortgehen.

Die Mandelbäume
    »Wissen Sie, was ich am meisten bewundere?«, sagte Napoleon zu Fontanes. »Die Ohnmacht der Gewalt, etwas zu erschaffen. Es gibt nur zwei Mächte in der Welt: das Schwert und den Geist. Auf die Dauer wird das Schwert immer durch den Geist besiegt.«
    Eroberer sind, wie es scheint, zuweilen melancholisch. Man muss schon einen gewissen Preis bezahlen für so viel eitlen Ruhm. Doch was vor hundert Jahren für das Schwert zutraf, gilt heute nicht mehr im selben Maß für den Panzerkrieg. Die Eroberer sind an der Macht, und das dumpfe Schweigen der Stätten ohne Geist hat sich für einige Jahre über ein zerrissenes Europa gelagert. Zur Zeit der grausamen Kriege in Flandern konnten die holländischen Maler vielleicht die Tiere ihres Geflügelhofes malen. Ebenso hat man den Dreißigjährigen Krieg vergessen, und doch leben in einigen Herzen die Gebete der silesischen Mystik weiter. Doch heute ist es anders, sowohl Maler wie Mönch sind mobilisiert: Wir sind solidarisch in dieser Welt. Der Geist hat seine königliche Sicherheit verloren, die selbst ein Eroberer anerkennen musste; er erschöpft sich, die brutale Gewalt zu verfluchen, die er nicht mehr meistert.
    Brave Leute pflegen zu behaupten, dies sei von Übel. Wir wissen nicht, ob es ein Übel ist, doch wir wissen, dass es so ist. Man hat sich in der Folge damit auseinanderzusetzen. Es genügt zu erkennen, was wir wollen. Und gerade das wollen wir: uns nie mehr vor dem Schwert beugen, nie mehr der Gewalt ein Recht einräumen, die sich nicht in den Dienst des Geistes stellt.
    Es ist dies in Wahrheit eine Aufgabe ohne Ende. Doch wir sind da, um sie fortzusetzen. Ich glaube zu wenig an die Vernunft noch an irgendeine Philosophie der Weltgeschichte, um mich dem Fortschritt zu verschreiben. Doch ich glaube wenigstens daran, dass sich die Menschen über ihr Schicksal immer bewusster geworden sind. Wir haben unsere Lage keineswegs überwunden, aber wir erkennen sie besser. Wir wissen uns in Widersprüche verstrickt, doch wir wissen auch, dass wir diese Widersprüche ablehnen und alles daransetzen müssen, sie zu verringern. Unsre Lebensaufgabe besteht darin, die wenigen Formeln zu finden, die die unendliche Qual der freien Seelen mildern. Wir müssen das Zerrissene zusammenfügen, einer so offensichtlich ungerechten Welt die Vorstellung der Gerechtigkeit wiederbringen und den vom Unheil des Jahrhunderts vergifteten Völkern die Bedeutung des Glücks neu schenken. Es ist dies natürlich eine übermenschliche Aufgabe. Doch man nennt jene Aufgaben übermenschlich, die den Menschen lange Zeit kosten, sie zu erfüllen. Das ist alles.
    Seien wir uns bewusst, was wir wollen; bleiben wir standhaft und treu dem Geist, selbst wenn die Gewalt, um uns zu verführen, die Gestalt einer Idee oder der Bequemlichkeit annimmt. Vor allen Dingen sollen wir nicht verzweifeln. Hören wir nicht auf jene, die mit dem Weltuntergang drohen. Die Zivilisationen sterben nicht so leicht, und sollte auch diese Welt zugrunde gehen, dann gingen erst andere vor ihr zugrunde. Es ist wahr, wir leben in einer tragischen Epoche. Doch allzu viele Menschen verwechseln Tragik mit Verzweiflung. »Das Tragische«, sagte Lawrence, »sollte wie ein großer Fußtritt sein, den man dem Unglück versetzt.« Dies ist

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