Hochzeit des Lichts (German Edition)
ein gesunder Gedanke und sofort anwendbar. Es gibt heutzutage viele Dinge, die diesen Fußtritt verdienen.
Als ich in Algier lebte, geduldete ich mich den ganzen Winter hindurch, weil ich wusste, dass in einer Nacht, in einer einzigen kalten und reinen Februarnacht, die Mandelbäume der Vallée des Consuls sich mit weißen Blüten bedecken würden. Und ich war jedes Mal verwundert, wie dieser zarte Blütenschnee allen Regen und Meerwinden trotzte. Und doch dauerte jedes Jahr das Blühen gerade so lange, als es braucht, um die Früchte vorzubereiten.
Dies ist kein Symbol. Wir können unser Glück nicht mit Symbolen erkaufen. Dazu braucht es größeren Ernst. Ich will damit nur sagen, dass ich mich, wenn die Last des Lebens zu schwer wird in diesem Europa, das so angefüllt ist mit seinem Unglück, jenen Ländern zuwende, wo noch so viele Kräfte brachliegen. Ich kenne sie zu gut und weiß, dass sie das auserwählte Land sind, wo die beschauliche Versenkung und der Mut ins Gleichgewicht kommen können. Das Nachdenken über ihr Beispiel hat mich gelehrt, dass man, will man den Geist retten, seine klagenden Tugenden ignorieren und seine Kraft und sein Ansehen preisen muss. Diese Welt ist von Unglück vergiftet und scheint sich darin zu gefallen. Sie ist ganz jenem Übel ausgeliefert, das Nietzsche den Geist der Schwere nannte. Hüten wir uns davor. Es ist vergeblich, dem Geist nachzutrauern, es genügt, für ihn zu wirken.
Doch wo sind die kämpferischen Tugenden des Geistes? Der gleiche Nietzsche hat sie als die Todfeinde des Geistes der Schwere bezeichnet; diese sind die Charakterstärke, der Geschmack, das Weltliche, das klassische Glück, der harte Stolz, die kalte Genügsamkeit des Weisen. Diese Tugenden sind mehr denn je notwendig, und ein jeder wähle die, die ihm entspricht. Vor der Ungeheuerlichkeit der begonnenen Aufgabe vergesse man vor allem die Charakterstärke nicht. Ich spreche nicht von jener Charakterstärke, welche auf den Wahltribünen von Stirnrunzeln und Drohungen begleitet ist. Ich spreche von jener, die allen Meerwinden trotzt, durch die Kraft der Reinheit und ihrer Lebenssäfte. Sie ist es, die in der winterlichen Welt die neue Frucht bereiten wird.
Prometheus in der Hölle
Es schien mir, dass etwas dem
Göttlichen mangelte, solange man ihm
nichts gegenüberzustellen hatte.
Lukian,
Prometheus im Kaukasus
Was bedeutet uns heutigen Menschen Prometheus? Man könnte zweifellos sagen, dass dieser gegen die Götter sich aufbäumende Rebell das Vorbild des heutigen Menschen sei, und dass dieser Protest, der sich vor Tausenden von Jahren in den Einöden Skythiens erhob, heute in einer geschichtlichen Umwälzung zu Ende geht, die ohnegleichen ist. Doch gleichzeitig mahnt uns etwas, dass dieser Verfolgte in uns weiterwirkt und wir noch taub sind für den großen Schrei der menschlichen Revolte, für die er das einsame Signal gegeben hat.
Der heutige Mensch teilt sein Leiden auf der engen Erdoberfläche mit einer erstaunlichen Menschenmenge; er entbehrt des Feuers und der Nahrung, und die Freiheit ist ein Luxus, der noch in weiter Ferne liegt; diesem Menschen bleibt nur übrig, immer noch etwas mehr zu leiden, wie der Freiheit und ihren letzten Zeugen nur übrig bleibt, immer mehr zu verschwinden. Prometheus war jener Heros, der die Menschen genügend liebte, um ihnen zugleich Feuer und Freiheit, Technik und Kunst zu schenken. Die heutige Menschheit glaubt einzig an die Technik. In ihren Maschinen entdeckt sie ihre Stärke und hält die Kunst und deren Ansprüche für ein Hemmnis und ein Zeichen der Knechtschaft. Hingegen ist es für Prometheus kennzeichnend, dass er die Maschine nicht von der Kunst trennen kann. Er glaubt an eine gleichzeitige Befreiung des Körpers und der Seele. Der heutige Mensch glaubt, zuerst den Körper befreien zu müssen, selbst wenn der Geist – vorübergehend – zugrunde ginge. Doch – kann der Geist nur vorübergehend sterben? Kehrte Prometheus wieder, würden die Menschen heute wie die Götter damals handeln: Sie würden ihn an den Felsen schmieden im Namen eben jener Menschlichkeit, deren erstes Symbol er ist. Und die feindlichen Stimmen, die jetzt den Besiegten schmähen würden, wären wieder die der äschyleischen Tragödie: die Stimmen der Macht und der Gewalt.
Lasse ich mich von der harten Gegenwart, den kahlen Bäumen, dem Winter der Welt beeinflussen? Gerade diese Sehnsucht nach Licht rechtfertigt mich: Sie redet von einer andern Welt, meiner wahren Heimat.
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