Hochzeit des Lichts (German Edition)
Weltumarmung das Glück der Ermattung.
Das Essen in diesem Café ist schlecht; dafür herrscht Überfluss an Früchten, vor allem an Pfirsichen, deren Saft uns beim Hineinbeißen übers Kinn läuft. Die Zähne in der Frucht, höre ich mein Blut dumpf in den Ohren klopfen, und meine Augen trinken die Fülle des Lichts. Das Meer schläft in der ungeheuren Mittagsstille. Jedes schöne Wesen hat den natürlichen Stolz seiner Schönheit; und die Welt atmet heute diesen Stolz aus allen Poren. Und angesichts ihrer Pracht – warum sollte ich meine Lebensfreude verleugnen, selbst wenn ich nicht alles unter sie befassen kann? Es ist keine Schande, glücklich zu sein. Heutzutage aber ist der Dummkopf König, und ich nenne jeden einen Dummkopf, der sich vorm Genießen fürchtet. Man hat uns so viel vom Stolz gesprochen: der Sünde Satans. Gebt acht, hieß es, ihr richtet euch und eure lebendige Kraft zugrunde. Ich habe seitdem in der Tat begriffen, dass ein gewisser Stolz …Zu andern Zeiten aber kann ich’s nicht lassen und sage aus vollem Herzen Ja zu jenem Lebensstolz, den diese ganze Welt mir einreden will. Wer in Tipasa sagt »ich sehe«, sagt auch »ich glaube«; und warum sollte ich verleugnen, was meine Hände berühren und meine Lippen liebkosen können! Ich fühle nicht das Bedürfnis, ein Kunstwerk daraus zu machen, sondern will nur erzählen, was nicht dasselbe ist. Tipasa kommt mir vor wie eine von jenen Romanfiguren, die man beschreibt, um mittelbar eine bestimmte Haltung zur Welt zu kennzeichnen: Wie jene legt es sein männliches Zeugnis ab. Heute ist es meine Romanfigur, und meine trunkene Lust, es zu umwerben und zu beschreiben, wird so bald kein Ende finden. Leben wie Zeugnis ablegen: Jedes hat seine Zeit. Schöpferisch arbeiten hat auch seine Zeit, was sich nicht ebenso von selbst versteht. Mir genügt es, wenn ich mit meinem ganzen Leibe leben und mit meiner ganzen Seele Zeugnis ablegen darf. Tipasa erleben, Zeugnis ablegen – das Kunstwerk kommt später, wie unsere Freiheit es will.
Nie bin ich länger als einen Tag in Tipasa geblieben. Stets kommt der Augenblick, wo man eine Landschaft zu viel gesehen hat, wie es andrerseits lange braucht, bis man sie genug gesehen hat. Gebirge, Himmel und Meer sind wie Gesichter, deren Öde oder Pracht man nicht durch Sehen entdeckt, sondern durch Schauen. Indessen muss jedes Gesicht sich irgendwie erneuen, sonst sagt es uns nichts mehr. Wir beklagen uns, dass wir zu rasch ermüden, statt dankbar zu staunen, dass wir die Welt nur zu vergessen brauchen, um sie wie neu zu empfinden.
Gegen Abend ging ich zurück in den Park, und zwar in seinen gepflegteren, gartenähnlichen Teil neben der Autostraße. Die verwirrende Duft- und Farbenfülle war dahin; in der kühlen Abendluft beruhigte sich der Geist, und der entspannte Geist genoss jenes innere Schweigen, das eine Frucht gestillter Liebe ist. Ich setzte mich auf eine Bank und sah zu, wie der Tag und die Erde sich friedlich erfüllten. Ich war satt. Über mir ließ ein Granatbaum seine Knospen hängen: lauter kleine, fest geschlossene Fäuste, in denen die Hoffnung des Frühlings schlief. Hinter mir blühte Rosmarin; sein Alkoholgeruch verriet ihn. Ferne Hügel traten in den Rahmenumriss der Bäume und noch ferner ein schnurschmaler Streifen Meer, den wie ein stilles Segel der helle Himmel überstieg. Eine geheime Freude füllte mein Herz: das Glück eines ruhigen Gewissens – jenes Glück des Schauspielers, der seine Rolle gut gespielt und so vollkommen in Klang und Gesetz verleiblicht hat, dass sich das fremde, fertig vorausgegebene Schicksal ganz und genau in seinem eigenen Herzen vollzieht und erfüllt.
Und eben dies empfand ich: Ich hatte meine Rolle gut gespielt. Ich hatte meine Menschenpflicht getan und hatte einen ganzen langen Tag in Freude verbracht; und war mir so auch nichts Ungewöhnliches gelungen, ich hatte doch ergriffenen Herzens jenem Lebenssinn gehorcht, der uns bisweilen befiehlt, glücklich zu sein. Wir finden alsdann die Einsamkeit wieder – und sind es zufrieden.
Die Bäume waren nun voller Vögel. Die Erde atmete leiser, und das Dunkel wuchs. Gleich wird es, mit dem ersten Stern, Nacht werden, und die strahlenden Götter des Tages werden ihren täglichen Tod erleben. Andere Götter werden kommen. Ihre verwüsteten Mienen werden düsterer sein, obschon auch sie aus dem Herzinnern der Erde stammen.
Das unermüdliche Aufschäumen der Wellen am Strande kam jetzt von weit her zu mir durch
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