Hochzeit im Herbst
eben?”
„Sie weint viel.” Emma trat vor den Bildschirm und las feierlich ein paar Sätze vor. „Manchmal gehe ich in ihr Zimmer, und dann hört sie auf zu weinen. Mom sagt, sie freut sich, wenn jemand kommt und ihr Gesellschaft leistet.”
„Ich verstehe. Und wenn du sie weinen hörst, wie fühlst du dich dann?”
„Früher hat es mich sehr traurig gemacht. Doch jetzt weiß ich schon, dass man sich nach dem Weinen oft besser fühlt.”
Rebecca lächelte. „Das stimmt.”
„Wil st du Fotos machen von der Lady?”
„Ich hoffe es. Hast du sie schon mal gesehen?”
„Nein, aber ich glaube, sie ist sehr schön, weil sie so gut riecht.” Emma lächelte. „Du riechst auch gut.”
„Danke. Lebst du denn gern hier in diesem Haus, Emma? Ich meine mit der Lady und allem?”
Emma nickte eifrig. „Oh ja, sehr gern sogar. Aber wir bauen uns jetzt unser eigenes Haus, gleich neben der Farm, und dann sind wir alle eine große Familie. Mom wird weiter hier arbeiten, und dann kann ich auch immer kommen und die Lady besuchen. Schreibst du eine Geschichte?
Connor schreibt auch Geschichten.”
„Nein, nicht direkt. Es ist wohl mehr ein Tagebuch. Ich schreibe einfach Dinge auf, die ich beobachtet habe oder die man mir erzählt hat, damit ich mich später wieder daran erinnere. Aber ich habe vor, ein Buch über Antietam zu schreiben.”
„Komm ich da auch drin vor?”
„Oh, auf jeden Fall.” Sie strich Emma sanft über die blonden Locken. Es war schön zu entdecken, dass sie Kinder sehr mochte. Und die sie offensichtlich auch. „Ich hoffe, dass du mir noch ein bisschen mehr von der Lady erzählst.”
„Ich heiße jetzt Emma MacKade. Der Richter hat gesagt, dass das in Ordnung geht. Deshalb musst du mich in dem Buch auch Emma MacKade nennen.”
„Aber natürlich.”
Rebecca schaltete den Computer aus. „Komm, lass uns nach unten gehen. Ich habe auch Lust auf ein paar Plätzchen.”
Eigentlich hatte Rebecca nicht beabsichtigt, den Weg zur Farm einzuschlagen. Sie wollte nur einen kleinen Waldspaziergang machen – zumindest redete sie sich das ein. Um ein bisschen Luft zu schnappen, einen klaren Kopf zu bekommen, sich die Beine zu vertreten. Doch dann hatte sie den Wald auch schon durchquert und wanderte über die Felder, noch ehe es ihr richtig zu Bewusstsein gekommen war.
Rebecca hätte nicht sagen können, warum sie lächelte, als sie das Haus sah. Sie hoffte, dass Shane nicht da sein würde. Vielleicht vergnügte er sich ja irgendwo in der Stadt mit einem Mädchen, denn sicher hatte er, da für ihn jeder Tag sehr früh anfing, bereits Feierabend gemacht.
Ein Teil der Wiese, über die sie ging, war bereits gemäht, aber sie sah nirgendwo einen Traktor. Eigentlich schade, sie hätte Shane MacKade gerne einmal auf einer dieser gewaltigen Maschinen sitzen sehen.
Doch es waren wirklich die Einsamkeit und die Stil e, die sie suchte, ehe sie sich für den Rest der Nacht wieder an ihre Arbeit setzen würde. Deshalb machte sie jetzt lieber doch einen weiten Bogen um das Haus.
Sie liebte den Duft, der in der Luft lag. Er kam ihr seltsam bekannt vor.
Irgendeine weit zurückliegende, frühkindliche Erinnerung, vermutete sie.
Vielleicht sogar aus einem früheren Leben. Bald würde sie so weit sein, ihre Theorie über Wiedergeburt zu Papier zu bringen. Ein faszinierendes Thema.
Weil sie die Geschichte von den beiden Soldaten genau kannte, ging sie jetzt zu den Nebengebäuden hinüber und hielt nach dem Räucherhaus Ausschau. Sie wusste zwar nicht, wie es aussah, aber Regan hatte ihr erzählt, dass es noch stand. Sie war sehr gespannt darauf, es zu sehen.
Die Wildblumen, die zwischen dem saftig grünen Gras leuchteten, entzückten sie. Sie bückte sich und begann einen Blumenstrauß zu pflücken. Wann hatte sie sich jemals die Zeit genommen, über eine Wiese zu wandern? Niemals. Nun, dafür würde sie es jetzt umso mehr genießen.
Die hohen Gräser und bunten Blüten wiegten sich im Sommerwind, fast schien es ihr, als würden sie tanzen.
Plötzlich verspürte sie ein Brennen in der Kehle, und ihr Herzschlag verlangsamte sich. Einen kurzen Augenblick lang empfand sie ein so beängstigendes Gefühl von Trauer und Einsamkeit, dass ihr die Beine fast den Dienst versagten. Sie umklammerte den Blumenstrauß, den sie gepflückt hatte, fester.
Mit bleischweren Gliedern bewegte sie sich durch das hohe Gras, das ihr fast bis an die Oberschenkel reichte. Kummer und Schmerz überkamen sie. Sie blieb stehen und
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