Hochzeit in Glenrae
die Verbindung nicht mehr abgerissen.
Jenna und Suzie hatten ein schweres Jahr hinter sich. Suzie konnte den Verlust der Eltern nicht verschmerzen, und Jenna, die plötzlich allein für ihre sechsjährige Schwester zu sorgen hatte, musste nicht nur mit der eigenen Trauer fertig werden, sondern auch den Lebensunterhalt für sie beide verdienen. Als Grundschullehrerin kehrte sie meist zur gleichen Zeit wie Suzie heim, aber das Geld, das Jenna verdiente, reichte nicht weit, und an eine Urlaubsreise während der Ferien ließ sich überhaupt nicht denken.
Zu allem Unglück hatte Jenna dann auch noch plötzlich ihren Job verloren. Die Direktorin hatte sich sehr mitfühlend verhalten, helfen konnte sie Jenna jedoch nicht. Aus finanziellen Gründen wurde eine Stelle gestrichen, und da Jenna die jüngste Lehrerin im Kollegium und obendrein als Letzte eingestellt worden war, traf sie das harte Los.
Da traf Louises Brief mit dem Vorschlag, den Sommer in Glenrae zu verbringen und ihr in der Reitschule zu helfen, genau im richtigen Augenblick ein. Auf diese Weise wird vorerst der Lebensunterhalt für mich und Suzie gesichert sein, und Suzie kommt in eine Umgebung, wo sie die Sommerferien unbeschwert verbringen kann, hatte Jenna sich gesagt.
Nach dem Verlust des Jobs hatte sie sich um verschiedene Stellen beworben, aber es war unwahrscheinlich, dass sie vor Beginn des Schuljahrs ein Angebot erhielt. Umso dankbarer war sie für das Angebot Louises gewesen.
Jennas Gedanken begannen sich um Stuart zu drehen. Sie kannte ihn nicht. Louise, schon als junge Frau Witwe geworden, hatte vor acht Jahren einen Witwer mit einem Sohn im Teenageralter geheiratet. Seitdem lebte sie in Schottland. Der Kontakt mit ihrer Schwester Margaret blieb bestehen bis zu deren Tod, Louise kehrte jedoch nie in ihren Heimatort zurück.
Sie hatte begeistert von Stuart geschrieben und schien ihn wie einen eigenen Sohn zu lieben. Inzwischen war sie erneut verwitwet, und Duncans und Mariannes Äußerungen ließen darauf schließen, dass sie nur für ihren Stiefsohn lebte, was Duncan aus irgendeinem Grund nicht passte.
Jenna seufzte erneut. Sie konnte nur hoffen, dass sich eine friedliche Lösung für die Spannungen zwischen den beiden Familien finden ließ.
4. KAPITEL
Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte ein Uhr an, und Jenna lag noch immer wach. Resigniert beschloss sie, sich ein Buch aus dem Turmzimmer zu holen. Sie schlüpfte aus dem Bett, zog ihren Morgenmantel über, verließ den Raum und ging leise den durch ein schwaches Licht erhellten Gang hinunter. Das Turmzimmer war verschlossen.
Unschlüssig blieb sie stehen und überlegte, ob sie sich anziehen und im Garten spazieren gehen sollte. Da entdeckte sie plötzlich eine Wendeltreppe mit schmiedeeisernem Geländer in der Ecke gegenüber. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen und begann, die spiralförmig nach oben führenden Stufen zu erklimmen.
Als sie um die zweite Biegung kam, hatte Jenna ein kleines bleiverglastes Fenster vor sich, durch das das Mondlicht fiel. Die Treppe mündete dann auf einem schmalen Gang, der ebenfalls von einem Oberlicht erhellt wurde. Links und rechts des Ganges sah Jenna Türen.
Vorsichtig näherte sie sich der ersten, öffnete sie, tastete an der Innenwand nach dem Lichtschalter und drehte ihn. In dem Raum befanden sich vom Boden bis zur Decke reichende Wandschränke. In einem Winkel entdeckte Jenna ein schmales Waschbecken, darüber einen sich nach unten verjüngenden Spiegel.
Neugierig öffnete sie wenig später die Tür zum Nebenraum und schaltete auch hier das Licht ein. In dem Zimmer stand ein einladendes Bett, das Bettzeug war mit blumengemusterter Wäsche bezogen. Jenna fand die gesamte Einrichtung sehr geschmackvoll. Der altrosa Teppichboden fühlte sich unter ihren nackten Füßen angenehm weich an. Alles schien mit Liebe und Sorgfalt aufeinander abgestimmt worden zu sein. Mit den witzig gemalten Bildern an den Wänden musste es sich wohl um ein Kinderzimmer handeln. Aber wo war das Kind, das hier sein Reich hatte … oder haben sollte?
Jenna kam sich wie ein Eindringling vor und wollte den Raum gerade wieder verlassen, als jemand vor ihr auftauchte und eine kräftige Hand ihren entsetzten Aufschrei erstickte.
Sie blickte in ein dunkles Augenpaar und brauchte einen Moment, bis sie Duncan erkannte. Langsam nahm er die Hand von ihrem Mund und trat zurück. “Was tun Sie hier oben?”
“Sie … haben mir Angst gemacht”, brachte sie stockend hervor.
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