Hochzeit in Glenrae
wahr. Dass ihre nackten Füße gegen das Metall des Treppengeländers stießen, sie taumelte, spürte sie kaum. Einem Schutzengel oder ihrem Überlebensinstinkt hatte sie es zu verdanken, dass sie rücklings und nicht kopfüber fiel.
Duncan bekam sie gerade noch rechtzeitig zu fassen und hielt sie fest, ehe sie die Treppe hinunterstürzen konnte. Langsam drehte er sie zu sich herum.
Vor Schreck zitternd, klammerte sie sich an ihn und legte den Kopf an seine Brust. Verwundert stellte sie fest, dass Duncans Herz heftig pochte.
“Dummerchen”, sagte er mit rauer Stimme. “Du hättest dir das Genick brechen können.”
Jenna hob den Kopf und sah ihn anklagend an. “Wäre das nicht ganz in deinem Sinn gewesen? Auge um Auge, Zahn um Zahn?”
Er schob sie von sich. “Glaubst du das wirklich?”
“Ja”, erwiderte sie mit Nachdruck.
Duncan blickte ihr in die Augen, und es war, als sprängen zwischen ihnen Funken über. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen sie beide sich auf gleicher Ebene zu begegnen. Dann veränderte sich Duncans Gesichtsausdruck, und was immer Jenna gesehen zu haben glaubte, war verschwunden.
“Es ist spät”, sagte er, “und ich muss frühzeitig wegfahren.” Er nahm Jennas Ellenbogen. “Ich begleite dich zu deinem Zimmer.”
Sie schüttelte seine Hand ab. “Das brauchst du nicht. Dein Geheimnis ist fürs Erste noch gut aufgehoben. Ich verspreche dir, heute Nacht keine Erkundungsgänge mehr zu unternehmen.”
Damit eilte sie die Wendeltreppe hinunter. Sie hatte erwartet, dass er ihr folgen würde, doch als sie auf der letzten Stufe stehen blieb und sich umdrehte, sah sie nur den schwachen Schimmer des Mondscheins, der durch das kleine Fenster neben der zweiten Treppenbiegung fiel.
Duncan stand oben auf dem Treppenabsatz und lauschte dem gedämpften Tappen von Jennas nackten Füßen nach. Dann war alles still.
Er durchlebte die Empfindungen erneut, die ihn übermannt hatten, als er ihre zierliche Gestalt in den Armen gehalten und ihr Gesicht an seiner Brust gespürt hatte. Der gerade noch verhinderte Sturz hatte sie beide aufgewühlt und Jennas Zittern seine Beschützerinstinkte geweckt. Gefühle, die er längst für abgestorben gehalten hatte, stürmten auf ihn ein.
Obwohl die Nacht für Jenna sehr kurz gewesen war, erwachte sie zeitig. Duncans Verhalten während des nächtlichen Zwischenspiels hatte in ihr den Verdacht geweckt, dass ihr Gastgeber sie für seine Rachepläne einspannen wollte. Da war es natürlich zweckmäßig, er behielt sie bei sich.
Spontan beschloss sie, die erstbeste Gelegenheit nach Dr. McRaes Besuch zu nutzen, um mit Suzie das Haus zu verlassen. Duncan hatte ihr gesagt, dass er früh fortfahren müsse, da würde er sicherlich erst am späten Vormittag wieder auftauchen.
Sie war daher überrascht, als es an ihrer Tür klopfte und Duncan den Raum betrat.
“Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt”, sagte er und betrachtete sie forschend.
“Nein, das hast du nicht, wie du siehst.”
Seit Tagesanbruch saß sie im Sessel am Fenster. Duncan kam zu ihr herüber und legte ihr den Zeigefinger unters Kinn.
“Du siehst müde aus”, stellte er fest.
“Das ist ja wohl nicht weiter verwunderlich.” Hastig entzog sie sich ihm. Dabei kämpfte sie gegen die Empfindungen an, die seine Berührung ausgelöst hatte.
“Wenn du damit andeuten willst, ich wäre an deiner Erschöpfung schuld, muss ich dir energisch widersprechen.”
“So?” Sie schüttelte den Kopf. “Dein Verhalten heute Nacht war nicht gerade schlaffördernd.”
“Dasselbe könnte ich dir sagen”, entgegnete Duncan trocken. “Schnüffelst du oft herum?”
“Nein. Aber da du dich mit Geheimnissen umgibst, darfst du dich nicht wundern, wenn ich versuche, ihnen auf die Spur zu kommen.”
Er zog eine Braue hoch. “Und? Hast du etwas entdeckt?”
“Nichts, was Sinn ergibt”, erwiderte Jenna. “Es trifft sich übrigens gut, dass du hereinschaust”, behauptete sie. “So kann ich mich jetzt bereits von dir verabschieden. Nach Dr. McRaes Besuch werden Suzie und ich umgehend nach Glenrae übersiedeln. Ich bin überzeugt, dass er uns für fit genug hält.”
“Hm … Dr. McRae ist heute verhindert. Er muss sich im Ort um eine Frühgeburt kümmern, die Vorrang hat.”
“Natürlich. Das hätte ich mir denken können. Wieder ein Aufschub.” Sie blickte ihn kühl an. “Aber was soll’s? Ich werde nicht hier auf ihn warten. Es geht mir bestens, und Suzie wird die kurze Fahrt auch nichts
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