Hochzeit in St. George (German Edition)
ausgestattet hatte, gaben dem Verstorbenen die letzte Ehre. Die Pächter kamen mit ihren Familien, zahlreiche schaulustige Bewohner der umliegenden Ortschaften gaben dem dritten Marquis de la Falaise das letzte Geleit. Roger, der vierte Marquis, folgte mit stolzgeschwellter Brust dem Sarg. Er bemühte sich kaum zu verbergen, daß er nicht wirklich um seinen Onkel trauerte.
Die Verlesung des Testaments, die in engstem Familienkreise stattfand, schien eine reine Routineangelegenheit zu sein. Und doch brachte sie für alle Beteiligten eine unerwartete Überraschung.
Gervais de la Falaise war nicht der verarmte Adelige gewesen, deraußer Haus und Grundbesitz kaum etwas besaß. Durch sparsame Lebensführung hatte er in den Jahren ein beträchtliches Vermögen angehäuft, von dem keiner der Anwesenden etwas geahnt hatte.
»… sollte ich daher kinderlos versterben…«, hörten sie die tiefe Stimme des Notars, der gekommen war, um den Letzten Willen des Marquis zu verlesen, »… so möchte ich, daß mein Vermögen, außer den Anteilen, die ich nachfolgend genauer bezeichnen möchte, an die Person geht, die mir bewiesen hat, daß sie sich einer sparsamen, bescheidenen Lebensführung befleißigen kann, an meine Frau Catharine de la Falaise. Auch wenn sie annimmt, es wäre mir nicht aufgefallen, welche positiven Veränderungen sie auf meinem geliebten La Falaise bewirkte, trotz der bescheidenen Mittel, die ihr zur Verfügung standen, so möchte ich ihr auf diesem Wege meinen Dank und meine Anerkennung zum Ausdruck bringen. Ich erwarte allerdings…«
Während Catharine fassungslos und zu keinem Wort fähig war, unterbrach Roger den Notar mit brüsker Stimme. »Was soll das heißen?« rief er aus. »Hier liegt ein Irrtum vor. Ich bin der Alleinerbe. Ich, Roger de la Falaise. Ich, der vierte Marquis. Wie kommt diese englische Schlampe dazu…«
Der Aufschrei einer der Schwestern seines Onkels sowie der gestrenge Blick, den ihm der Notar über die Ränder seiner Nickelbrille zuwarf, ließen ihn für kurze Zeit verstummen. Mit zusammengebissenen Zähnen mußte er zuhören, was sein Onkel noch an Überraschungen bereithielt Er sollte sich neben dem Titel allein mit dem Landgut La Falaise zufriedengeben. Sicher, es stand ihm eine gewisse Summe Geldes zur Verfügung, die jedoch von eben dem Notar, der das Testament verlas, treuhänderisch verwaltet werden sollte. Damit wollte der Verstorbene sicherstellen, daß die Mittel allein für die Erhaltung des Gutes verwendet würden. Jeanette sollte einen kleinen Geldbetrag bekommen, ebenso die beiden überlebenden Schwestern des Verstorbenen. Doch das Stadtpalais in Paris und das enorme Vermögen fielen an Catharine. Als Zeichen ihrer Zuneigung zum Verstorbenen wurde ihr aufgetragen, ein Jahr lang Trauerkleidung zu tragen, den schweren Spitzenschleier eingeschlossen, den die Mutter des Marquis anläßlich des Todes ihres geliebten Gatten, seines Vaters, getragen hatte.
Catharine konnte es kaum glauben. Sie würde durch Gervais’ Tod nicht nur frei, nein, sie würde zudem auch noch reich sein.
Endlich lag eine unbeschwerte Zukunft vor ihren Augen.
Glücklich wandte sie sich zu Jeanette, um ihr die Hand zu reichen. Diese umarmte sie schwesterlich und gratulierte ihr von ganzem Herzen zur unerwarteten Erbschaft. Roger riß mit wutentbrannter Miene die beiden Frauen auseinander.
»Das Testament ist gefälscht!« rief er aus. »Nie und nimmer hätte mein Onkel mich, einen Blutsverwandten, so erbärmlich benachteiligt.«
»Beruhigen Sie sich, Monsieur«, forderte der Notar mit gerunzelter Stirne. »Dies hier ist ohne Zweifel die Handschrift Ihres Onkels. Ich arbeite seit mehr als zwanzig Jahren für die Familie. Glauben Sie mir, ich erkenne die Handschrift mit absoluter Sicherheit.«
»Catharine ist eine perfekte Fälscherin«, rief Roger, der zusehends völlig die Fassung verlor. »Sicher war sie es, die dieses schändliche Testament verfaßte. Wo war das Schreiben aufbewahrt? In Ihrem Büro, Maître?«
Der Notar schüttelte den Kopf: »Nein, Madame la Marquise hat es mir heute morgen in einem verschlossenen Umschlag gegeben.«
»Es befand sich in Gervais’ Schreibtisch«, verteidigte sich Catharine empört. »Er selbst hat mir einmal gezeigt, in welchem Fach er das Testament aufbewahrte.«
»Das würde mein Onkel nie getan haben!« brauste Roger auf.
Es war offensichtlich, daß er nicht so schnell aufgeben würde. Am nächsten Morgen übergab er dem Notar ein anderes
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