Hochzeit in St. George (German Edition)
ausgenützt hatte, obwohl er wußte, daß sie für seinen Onkel bestimmt war.
Der einzige Mensch, mit dem Catharine auf La Falaise Freundschaft schloß, war Jeanette, Rogers Frau. Sie war ein kleines, zartes Wesen,als gutbehütete jüngste Tochter eines reichen Kaufmannes aufgewachsen. Sie hatte Roger vor einigen Jahren in einem Gasthaus kennengelernt. Ihre Eltern und sie waren auf dem Weg zu einer Tante gewesen, als der gutaussehende junge Adelige die Gaststube betreten hatte. Sie waren die einzigen Gäste an diesem kalten, verregneten Oktoberabend. Und als sie vor dem offenen Kaminfeuer Wärme vor der eisigen Kälte des Spätherbstes suchten, war es kein Wunder, daß sie miteinander ins Gespräch kamen. Die Aussicht, daß Roger dereinst den Titel eines Marquis erben würde, wenn sein Onkel kinderlos verstarb, hatte dem ehrgeizigen Kaufmann den Kopf verdreht. Jeanette war von Rogers Charme bezaubert gewesen; Roger von der ansehnlichen Höhe der zu erwartenden Mitgift. In der Folge traf man sich öfter, keine vier Monate später war die Hochzeit gefeiert worden. Es hatte keine weiteren vier Monate gedauert, da war es Roger gelungen, die gesamte Mitgift durchzubringen. Nun reiste er durch die Lande, stets auf der Suche nach neuen Opfern, die er durch Tricks, kleine Betrügereien oder an Spieltischen um ihr Vermögen bringen konnte.
Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere schlossen die beiden Frauen rasch Freundschaft. Jeanette war die stillere der beiden, ein in sich gekehrtes, genügsames Wesen, das unter der starken Hand des dominanten Vaters nie gelernt hatte, eine eigene Meinung zu bilden, geschweige denn sie auch zu vertreten. Sollte das Verhalten ihres treulosen Gatten sie schmerzen, so beklagte sie sich mit keinem Wort. Und auch die eintönigen, ereignislosen Tage auf La Falaise erschienen ihr angenehm im Vergleich zu ihrem gestrengen Elternhaus. Nun war Catharine gekommen, und mit ihr kehrte Abwechslung in La Falaise ein. Gemeinsam verbrachten sie viele Stunden damit, auf weiten Spaziergängen die Küstenlandschaft zu erkunden. Oder sie saßen an den langen, stillen Abenden in der von Kerzen erhellten Bibliothek, und Catharine erzählte von England, während ihr Jeanette, eine Stickerei in der Hand, gebannt zuhörte. Manchmal erzählte auch Jeanette von der Vergangenheit, oder sie grübelten darüber nach, was die Zukunft wohl bringen mochte. Das Vertrauen zueinander ging so weit, daß Jeanette Catharine eines Abends, als sie sich wieder alleine in der Bibliothek befanden, einen Briefumschlag übergab. »Das ist meine Heiratsurkunde«, flüsterte sie ihrer Freundin zu. »Würdest du so freundlich sein, sie für mich zu verwahren? Ichhabe Leon, den Küchenjungen, am Nachmittag dabei ertappt, wie er meine Kommode durchsuchte. Als er mich sah, brach er in Tränen aus. Ich brachte ihn schließlich dazu, mir die Wahrheit zu sagen. Stell dir vor, Roger hat ihm eine Nachricht zukommen lassen: Er sollte die Heiratsurkunde suchen und ihm an eine angegebene Adresse in Dijon schicken. Ich weiß nicht, was Roger damit vorhat. Aber es ist sicher nichts Gutes. Bitte nimm diesen Briefumschlag an dich. In deinem Zimmer wird man ihn nicht suchen.«
Zwei Monate darauf war völlig überraschend der Marquis de la Falaise gestorben. Er war völlig durchnäßt von einem Jagdausflug zurückgekehrt. Mit geröteten Augen und einer starken Verkühlung hatte er sich ins Bett gelegt und sich von seinem Kammerdiener einen heißen Punsch mit sehr viel Rum brauen lassen. In der Nacht hatte er hohes Fieber bekommen. Er begann zu phantasieren und wälzte sich unruhig im Bett hin und her. Catharine schickte nach dem Arzt. Dieser kam aufgrund der großen Entfernung erst am darauffolgenden Vormittag. Nachdem er bedenklich den Kopf gewiegt hatte, ließ er den Patienten zur Ader. Dann gab er Catharine das Rezept für einen Kräutertee, den sie ihrem Gatten einflößen sollte, um die Schmerzen zu lindern. Zudem riet er, das Fieber durch in Essig getränkte Wickel um die Waden abzusenken. Es half alles nichts. Als der Arzt am nächsten Nachmittag nach seinem hochwohlgeborenen Patienten sehen wollte, war dieser tot.
Woher Roger vom Ableben seines Onkels erfuhr, wußte Catharine nicht. Tatsache war, daß er auf La Falaise auftauchte, noch bevor seine Frau und sie selbst in Erfahrung bringen konnten, wo er sich zu dieser Zeit aufhielt. Das Begräbnis war sehr feierlich. Die neuen Adelsfamilien, die Napoleon im weiten Umkreis mit Ländereien
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