Hochzeit in St. George (German Edition)
sie, würde ihr weiteres Schicksal in die Hand nehmen. Mit einem Mal fühlte sie sich glücklich und voller Zuversicht. Sie hatte Lust, zu singen und quer durch das Zimmer zu tanzen.
Ein Blick in den Spiegel über der Kommode dämpfte diese Freude ein wenig. Kritisch betrachtete sie ihr blaßes Gesicht. Sie sah viel älter aus, als sie war, stellte sie betroffen fest. Nein, noch war keine Falte auf der Stirn oder um den Mund zu erkennen. Doch die Wangen waren eingefallen. Dunkle Ringe unter den Augen zeugten davon, daß ihr Leben nicht einfach gewesen war in den letzten Jahren. Dazu kamen noch die Strapazen der weiten Reise, die am nächsten Tag nun endlich ihr Ende finden sollte. Natürlich war auch das entsetzliche schwarze Kleid daran schuld, daß sich der ungünstige Eindruck verstärkte. Und dann erst dieser düstere Schleier.
Niemand konnte in dieser Garderobe jung und hinreißend aussehen, beruhigte sie sich. Auch ihre dunkelblonden Haare schienen sich dem tristen Allgemeinbild angepaßt zu haben. Sie hatten viel von ihrem Glanz und ihrer Fülle eingebüßt. Nun, regelmäßige Hopfen-Kamillespülungen würden beides binnen kürzester Zeit wieder zurückbringen. Sie kannte ein kleines Geschäft in der Jermyn Street, das allerlei Pasten und Wässerchen aus Kräutern und Pflanzen verkaufte, die sich wohltuend auf Haut und Haar auswirkten. Catharine hatte guten Grund, sich auf London zu freuen. Sie sah sich im Geistedurch die vornehme Bond Street spazieren oder zur. mondänen Stunde durch den Hyde Park kutschieren. Es konnte einfach nicht mehr lange dauern, bis ihr das Geld aus Frankreich zur Verfügung stand. Dann würde sie sich eine neue Garderobe kaufen. Kleider in den strahlendsten Farben. Sie würde Bälle besuchen und…
Catharine stand auf und straffte energisch die Schultern. Zuerst hieß es, die Durststrecke zu überwinden, bis das Geld kam. All ihre Hoffnungen konzentrierten sich auf Mrs. Willowby. Vielleicht konnte Mylady sogar dazu überredet werden, sie in der Zwischenzeit als Gast in ihrem Hause aufzunehmen?
Ein leises Klopfen an der Zimmertür unterbrach ihre Überlegungen. Ein Zimmermädchen, in einem adrett blau-weiß gestreiften Kleid; mit gestärkter, weißer Schürze trat ein und stellte einen Krug neben die Waschschüssel. »Ich habe Ihnen heißes Wasser gebracht, Mylady«, sagte sie. »Kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein?«
Catharine bedankte sich, das Mädchen knickste und zog sich zurück. Sie hatte kaum Zeit gehabt, sich frisch zu machen, als Hetty in der Tür erschien. Sie hatte ihr schweres Reisekleid abgelegt und trug nun ein hübsches grün-gelb geblümtes Tageskleid mit einer dazu passenden grünen Pelerine. Sowohl die Halbstiefelchen als auch die feinen Kalbslederhandschuhe waren farblich darauf abgestimmt. Ein schmaler Schutenhut vervollkommnete das liebliche Bild.
»Bist du bereit, Catharine?« fragte sie, während sie die Tür hinter sich schloß. Ihre Augen glänzten vor Aufregung. »Ist das nicht ein wunderschöner Gasthof? Du ahnst ja gar nicht, wie sehr ich unsere Reise genieße. In den letzten Tagen war ich so nervös, weil ich ständig befürchtete, daß etwas dazwischenkommen könnte. Doch nun sind wir wirklich und wahrhaftig in Tunbridge Wells. Und morgen werden wir in London sein. Ist das nicht großartige?«
»Ja, das ist es in der Tat«, stimmte Catharine zu, während sie sich mit dem bereitgelegten Handtuch abtrocknete. »Noch viel großartiger würde ich es allerdings finden, wenn wir bereits im Hause deines Bruders angelangt wären. Und wenn Mrs. Willowby sich bereits bereit erklärt hätte, mir so lange zu helfen, bis mein Geld aus Frankreich eingetroffen ist. Denkst du, sie wird mich als deine Gesellschafterin akzeptieren?«
Da sie sich bei diesen Worten umwandte, um ihre Handschuhe von der Kommode zu nehmen, entging es ihr, daß ihre Begleiterin schlagartigerrötet war. Hetty hatte ihre Schwägerin, die den gleichen Namen trug wie sie, noch nie gesehen. Sie hatte keine Ahnung, wie diese auf einen diesbezüglichen Vorschlag reagieren würde. Da weder ihr Bruder noch ihre Schwägerin etwas von ihrem eigenen Kommen ahnten, konnte es vielleicht Probleme geben. Nun, irgendeine Lösung würde sich finden.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Hetty leichthin und warf einen flüchtigen Blick durch das kleine Fenster auf die belebte Straße. »Wenn wir uns nicht beeilen, wird es dunkel. Bist du bereit, Catharine?«
Diese nickte, und gemeinsam stiegen sie die
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