Hochzeit in St. George (German Edition)
Erlesenheit des mitternächtlichen Buffets. Hetty war ungewohnt schweigsam. Irgendeine Laus war ihr über die Leber gelaufen, doch sie weigerte sich nachdrücklich zu sagen, was sie bedrückte. »Was soll mich denn bedrücken?« fuhr sie ihre Schwägerin an, die sich danach erkundigt hatte. »Es war ein großartiger Ball. Wirklich großartig. Ich gehe jetzt zu Bett, ich bin müde.« Mit diesen Worten eilte sie, noch den Umhang auf ihren Schultern, ins obere Geschoß und schloß geräuschvoll ihre Zimmertür hinter sich.
»Irgend etwas muß ihr die gute Laune verdorben haben«, sagte Catharine ratlos. »Ich habe keine Ahnung, was das sein könnte.«
»Mach dir nicht zu viele Gedanken«, beruhigte ihr Gatte sie leichthin.»Es ist eine der besonders charakteristischen Eigenschaften der Willowbys, daß sie wankelmütig sind.«
Catharine blickte prüfend zu ihm auf. »Aller Willowbys?« wollte sie wissen.
»Aller Willowbys«, bestätigte Richard mit liebevollem Lächeln. »Doch nicht in allen Dingen. Wenn Willowbys lieben, dann lieben sie aus ganzem Herzen.« Er beugte sich vor und hauchte ihr einen kleinen Kuß auf die Lippen. Catharine konnte nichts erwidern. Sie war fasziniert von dem Gefühl, das der Kuß in ihr ausgelöst hatte. Nicht einmal Roger war es je gelungen, ein so tiefes Gefühl in ihr zu bewirken. Der Gedanke an den Franzosen brachte die Ernüchterung. Richard war ein Spieler wie Roger. Er würde sie ebenso ins Unglück stürzen, wie der Franzose es getan hatte. Richard, der von diesen Gedanken nichts ahnte, fand ihr Schweigen ermutigend. Zärtlich legte er den Arm um ihre Taille und wollte sie eben an sich ziehen, als sich seine Frau abrupt losmachte. »Rühr mich nicht an!« rief sie aus. »Wir haben eine Abmachung. Hast du das vergessen?«
Die Enttäuschung war Richard deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ist ja gut«, sagte er. »Du brauchst mich nicht anzubrüllen. Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht.«
Catharine lag noch lange wach. Richard war nicht wie Roger. Es war unfair, die beiden zu vergleichen. Hatte sich Richard nicht in letzter Zeit rührend um Hetty gekümmert? Hatte er sie nicht bei sich aufgenommen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen? Hatte er sich nicht untadelig verhalten in all den Wochen? Es war nicht recht von ihr, ihm falsches Spiel zu unterstellen. Sie war viel zu gerne in seiner Nähe, es war angenehm, von ihm im Arm gehalten zu werden. Wie dumm von ihr, ihn zurückzuweisen. Gleich morgen beim Frühstück würde sie sich bei ihm entschuldigen. Sicher würde er ihr vergeben und sie wieder in seine Arme nehmen. Mit einem glücklichen Lächeln und einem wohligen Gefühl schlief sie schließlich ein.
Als Catharine wieder erwachte, war Mittag bereits vorüber. Helles Sonnenlicht drang durch die duftigen Vorhänge ihres Bettes. Höchste Zeit, aufzustehen. Energisch läutete sie nach Rosie.
Hetty und Richard befanden sich bereits im Speisezimmer. Sie waren beide verschlafen und nicht allerbester Laune. Außer einem mürrischen »Guten Morgen« hatten sie noch nicht viel gesprochen. Hettystand am Buffet und begutachtete mit kritischer Miene die Speisen, die Kermin über Rechauds warm gehalten hatte. Schließlich entschied sie sich für Rührei und gefüllte Tomaten und begann ihren Teller zu füllen. Richard mißbrauchte in der Zwischenzeit sein Messer als Brieföffner. Unter den zahlreichen Karten, die als Dank für den vergangenen Abend abgegeben worden waren, und den Einladungen für künftige Festivitäten hatten sich auch drei Briefe befunden. Zwei davon waren an Catharine adressiert, der eine kam aus Italien, der zweite von einer Rechtsanwaltskanzlei aus Frankreich. Der dritte Brief war an ihn gerichtet und trug die wohlbekannte Handschrift des Viscount of Willowby, seines Vaters. Richard brauchte das Schreiben nicht zu lesen, um zu wissen, daß es Unangenehmes enthielt. Sein Vater pflegte nur dann zu schreiben, wenn er seinem Sohn Ermahnungen erteilen wollte oder ihm zum wiederholten Male die Enterbung androhte.
Diesmal war es die Eheschließung mit Catharine, die sein Mißfallen erregt hatte. Und die Tatsache, daß er, ohne um Erlaubnis zu fragen, Hetty bei sich aufgenommen und in die Gesellschaft eingeführt hatte. »Hör dir das an!« forderte er seine Schwester auf, und es war offensichtlich, daß er über die Worte seines Vaters ungehalten war. »Papa schreibt: ›Wie konntest Du nur Deine kleine Schwester, dieses unschuldige Kind, den Fittichen Deiner von mir hoch
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