Hochzeit in St. George (German Edition)
geschätzten Tante entreißen, um sie in der Hauptstadt den Verlockungen des Lasters und den Gefahren der Unmoral auszusetzen?‹ Wie das klingt! Ich hätte mir denken können, daß Vater an deinem Aufenthalt in London etwas auszusetzen hat Aber ich hätte dich doch nicht nach Brighton zurückschicken können, nicht wahr, Hetty? Und überdies bist du alt genug für eine Saison. Es wird Zeit, daß wir einen Mann für dich finden.«
Hetty war aufgesprungen und hatte ihren Bruder mit liebevoller Geste die Hände von hinten auf die Schultern gelegt. »Natürlich konntest du mich nicht zurückschicken. Die Fittiche meiner Tante! Ich habe mich bei Tante Mable doch fast zu Tode gelangweilt. Hier bin ich glücklich. Hier gefallt es mir. Und ich danke dir, Richard, daß ich bei dir wohnen darf. Wir leben doch kein Leben des Lasters und der Unmoral, nicht wahr?«
»Natürlich nicht«, bestätigte ihr Bruder. »Nur Vater kann so etwas denken. Sein Leben in London war mit Ausschweifungen und Gelagenangefüllt. Aus diesem Grunde muß er die Hauptstadt mit Laster und Unmoral in Verbindung bringen. Doch höre, was er über Catharine schreibt: ›Die Frau, die Du so überraschend zu eheKchen beliebtest, ist keine Französin, wie ich anfangs Grund hatte anzunehmen. Nein, schlimmer noch, sie ist eine Engländerin, die sich nicht scheute, einen Feind zu heiraten, als unser geliebtes Vaterland sich mit Frankreich im Kriegszustand befand. Schande über Napoleon! Warum diese Heimlichkeit bei der Hochzeit? Hast Du doch noch einen Funken Anstand in Deinem Leibe, daß Du Dich ihrer schämtest?‹ Wenn das nicht der Gipfel der Unverschämtheit ist!« rief Richard aus. »Als ob ich mich Catharines wegen je schämen müßte. Sie ist eine wahre Lady. Sie ist außergewöhnlich schön und tugendhaft, und die beste Gesellschaft akzeptiert sie als ihresgleichen …«
Hetty, die wieder auf ihrem Stuhl Platz genommen hatte, sah von ihrem Teller auf. »Du brauchst Catharine mir gegenüber nicht zu verteidigen«, unterbrach sie ihn. »Obwohl es mich wundert, daß du es tust, nachdem sie dich so schändlich hintergeht.«
»›Diese Hochzeit hat das Faß endgültig zum Überlaufen gebracht‹«, las Richard weiter. »›Ich habe lange gezögert, doch nun fühle ich mich verpflichtet, mein Erbe in würdigere Hände zu legen, als die Deinen es je sein können. Solltest Du etwas zu Deiner Verteidigung vorzubringen haben, erwarte ich Deinen umgehenden Besuch. Vater.‹« Erst als er dies zu Ende gelesen hatte, drangen die Worte in Richards Bewußtsein, die Hetty gerade zu ihm gesagt hatte. Catharine würde ihn schändlich hintergehen? Das konnte nicht sein. Sicher hatte er sich verhört. »Was meinst du?« fragte er daher.
»Ich sagte, daß Catharine dich hintergeht!« wiederholte Hetty. »Hast du denn nicht bemerkt, wie vertraulich sie und Hugh Deverell miteinander umgehen? Deine Frau und dein bester Freund! Sie wirft sich ihm ja geradezu an den Hals!«
»Unsinn!« entgegnete Richard scharf. Das klang ja, als sei Hetty eifersüchtig. Warum jedoch sollte sie eifersüchtig auf Hugh sein? Sie schwärmte doch für Lord Bridgegate. Und überhaupt: Warum hatte Hugh, ohne zu murren, beim Tanzunterricht Klavier gespielt? Er hätte diese Stunden doch viel amüsanter verbringen können. Und doch hatte er sich mit keinem Ton beschwert. War es, weil Catiiarine ständig anwesend war? Und gestern auf dem Ball: Warum hatte sich Catharine von Hugh zum Souper führen lassen? Wäre die Ehre nichtihm, Catharines Ehemann, zugestanden? Und warum ließ sie sich nicht von ihm küssen? Sie war schließlich keine zimperliche Jungfrau mehr. Sie war einmal verheiratet gewesen und wußte, was sich zwischen Frau und Mann abspielte. Konnte es tatsächlich sein, daß sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte? In Hugh, in seinen Freund Hugh? Richard sagte keinen Ton, doch der Stachel saß tief.
»Ich sehe schon, du willst mir nicht glauben!« fuhr Hetty auf. »Aber hast du die Blicke gesehen, die die beiden tauschten? Dauernd stekken sie ihre Köpfe zusammen. Hugh führte Catharine zum Souper, Hugh begleitete Catharine bei Ausfahrten. Catharine braucht Hugh nur einmal anzusehen, und er liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Ich sage dir …«
»Du brauchst kein Wort mehr zu sagen!« unterbrach sie Catharines Stimme von der Tür her. Sie war eben eingetreten und hatte die letzten Worte ihrer Schwägerin mit fassungslosem Erstaunen gehört. Ihre gute Laune war wie weggeblasen.
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