Hochzeit in St. George (German Edition)
Catharine de la Falaise war ein Geschenk des Himmels! »Geschafft, geschafft!« jubelte Hetty immer wieder, bevor sie sich schließlich erschöpft auf ihr Bett fallen ließ. Die erste vage Idee begann rasch Gestalt anzunehmen. Ihre Tante und ihr Onkel hätten nie gestattet, daß sie sich alleine auf die Reise nach London begab. Doch nun war sie nicht länger alleine. Catharine würde sie begleiten! Ihre Tante hatte gesagt, Catharine wüßte noch nicht, wo sie sich niederlassen würde. Aber das beunruhigte Hetty nicht ernsthaft. Wo sonst sollte es eine junge, gutaussehende, vermögende Witwe hinziehen, die endlich ihre Freiheit genießen wollte, wenn nicht in die Hauptstadt? Nun brauchte sie den Brief, den angeblich George geschrieben hatte, nur noch ihren Verwandten unterzujubeln. Am nächsten Morgen würde sie sich neben das Tablett mit der Post stellen,das Mebrough, der Butler, der zugleich Kammerdiener ihres sparsamen Onkels war, stets auf das Buffet im Frühstückszimmer stellte. Dann würde sie so tun, als habe sie das Schreiben eben geöffnet. Nicht mehr lange, und sie würde nach London aufbrechen. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen machte sie sich daran,, sich für das Dinner umzukleiden.
III.
Die junge Witwe in ihrem tiefschwarzen Kleid aus schwerer Seide stand an der Reling und blickte mit wachsender Besorgnis auf die unruhig auf und ab rollenden Wogen. Ihr langer, bis zur Taille reichender schwarzer Spitzenschleier flatterte im aufbrausenden Wind. Hoffentlich war diese Fahrt bald vorüber. Sie hatte Seereisen noch nie gut vertragen, doch so übel wie dieses Mal war es ihr noch nie ergangen. Ihre Hände umklammerten das eiserne Geländer. Hoffentlich muß ich mich nicht noch einmal übergeben, dachte sie beunruhigt. Das flaue Gefühl im Magen schien sich von Minute zu Minute zu verstärken. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie von der tiefen Stimme des Ersten Offiziers angesprochen wurde. Sie hatte nicht gehört, wie er näher gekommen war.
»Ich würde Ihnen empfehlen, die Kabine aufzusuchen, Madame«, sagte dieser nach einer höflichen Verbeugung. »Die Wolken über uns zeigen, daß wir in eine Regenzone einfahren.«
Wie um seine Worte zu bestätigen, klatschten die ersten dicken Tropfen auf die Planken des Schiffes. Catharine de la Falaise bedankte sich für diesen Rat und beeilte sich, ihn zu befolgen. Das Schiff schaukelte unruhig auf den Wellen, und sie brauchte geraume Zeit, um die Tür aufzusperren und die Schiffslampen in ihrer düsteren Kabine anzuzünden. Aufseufzend ließ sie sich auf den einzigen, festverankerten Stuhl gleiten. Dabei fiel ihr Blick zufällig in den kleinen Spiegel, der oberhalb des Waschtisches angebracht worden war. Wie blaß sie aussah! Die Wangen waren eingefallen, tiefe dunkle Ringe hatten sich um ihre Augen eingegraben. Die Strapazen der Reise standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Und dann noch dieser schreckliche Schleier, der ihre dunkelblonden Haare fast zur Gänze verdeckte.
Catharine preßte ihre Lippen aufeinander. Gervaise, dachte sie bitter. Er verfolgte sie über seinen Tod hinaus. Wie konnte er nur in seinem Testament bestimmen, daß sie diesen schweren, unkleidsamen Schleier tragen mußte. Ein ganzes Jahr lang. Zehn Tage noch, dann war das Trauerjahr vorüber. Dann würde sie die ungeliebte schwarze Garderobe eigenhändig verbrennen. Wo sie sich wohl aufhalten würde, in zehn Tagen? Sofort nach ihrer Ankunft wollte sie zu Onkel Jonathan nach Brighton fahren. Hoffentlich hatte er rechtzeitig ihr Schreiben erhalten. Es würde ihr guttun, ein paar Tage in Ruhe auszuspannen. Doch sie würde nicht lange bleiben.
Sie mußte sich endlich entscheiden, wo sie ihr weiteres Leben verbringen und wie sie es gestalten wollte. Zumindest bis das Geld kam, das ihr nach dem Tod ihres Gatten rechtmäßig zustand. Gervaise hatte sie, zur Überraschung aller Anverwandten und nicht zuletzt zu ihrer eigenen, zur Haupterbin eingesetzt. Seinem Neffen Roger de la Falaise, dem Erben des Titels, sollte nur ein relativ kleiner Teil des Vermögens zufallen. Es war abzusehen gewesen, daß Roger sich damit nicht zufriedengeben würde. Seit seiner Kindheit hatte er sich als Alleinerbe seines Onkels gefühlt. Nun dachte er nicht daran, kampflos aufzugeben. Ohne zu zögern, hatte er das Testament angefochten. Catharine ballte ihre Hände zu Fäusten. Roger. Sie würde ihn am liebsten ein für allemal vergessen. Und doch war die Erinnerung an diesen gutaussehenden
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