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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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er aus dem Revier und zum Kanal hinuntergegangen und eine Weile beim Gaswerk herumspaziert, wohl mit der Absicht, später zurückzugehen. Aber dann war »es über ihn gekommen«, was er da angerichtet hatte, und selbst wenn er den Mordvorwurf von sich abwenden konnte, gab es keine Hoffnung mehr für ihn. Da hatte er sein Fahrrad genommen und war wieder fortgefahren; er konnte sich gar nicht mehr recht erinnern, wohin und warum, weil er keinen klaren Kopf mehr hatte, und er hatte nur gedacht, wenn er irgendwohin fahre und dort ein wenig spazieren gehe, könne er vielleicht besser denken. Er erinnerte sich, daß er durch Pillington gefahren und durch die Felder gegangen war. Er glaubte nicht, daß er einen besonderen Grund dafür gehabt hatte, zum Blackraven Wood zu gehen – er sei nur herumgelaufen. Vielleicht war er auch einmal eingeschlafen. Er hatte kurz daran gedacht, sich in den Fluß zu stürzen, aber dann hatte er gefürchtet, seiner Frau damit etwas anzutun. Es tat ihm alles sehr leid, aber mehr konnte er nicht sagen, nur daß er den Mord nicht begangen hatte. Aber, fügte er eigenartigerweise hinzu, wenn Seine Lordschaft ihm nicht glaube, werde auch sonst niemand ihm glauben. Dies schien nicht gerade der richtige Augenblick zu sein, ihm zu erklären, warum Lord Peter ihm nicht glaubte. So sagte Kirk ihm nur, daß es ausgesprochen dumm von ihm gewesen sei, einfach so davonzulaufen, und daß alle bereit seien, ihm zu glauben, wenn er nur die Wahrheit sage. Und jetzt solle er lieber zu Bett gehen und versuchen, morgen beim Aufstehen vernünftiger zu sein; er habe seine Frau auch so schon schlimm genug geängstigt, und nun sei es schon fast zehn Uhr (Ach du liebes bißchen; und der Bericht für den Polizeipräsidenten war noch nicht geschrieben!); er werde morgen früh vorbeikommen und vor der Untersuchungsverhandlung noch mit ihm sprechen.
    »Sie werden dort nämlich aussagen müssen«, sagte Kirk, »aber ich habe mit dem Untersuchungsrichter gesprochen, und vielleicht wird er Sie nicht allzu hart bedrängen, weil die Ermittlungen noch im Gange sind.«
    Sellon legte nur den Kopf in die Hände, und Kirk, der das Gefühl hatte, daß er in diesem Zustand wirklich nicht viel mit ihm anfangen konnte, verabschiedete sich. Im Hinausgehen sagte er noch ein paar aufmunternde Worte zu Mrs. Sellon und riet ihr, ihren Mann nicht allzusehr mit Fragen zu quälen, sondern ihn in Ruhe zu lassen und zu versuchen, den Kopf oben zu behalten.
    Auf dem ganzen Rückweg nach Broxford gingen ihm seine neuen Ideen durch den Kopf. Er wurde das Bild nicht los, wie Sellon an Martha Ruddles Haustür gestanden und gewartet hatte – Nur eines gab ihm einen gewissen Trost – obwohl es dafür eigentlich gar keine Begründung gab: dieser eine merkwürdige Satz: »Wenn Seine Lordschaft mir nicht glaubt, glaubt mir auch sonst niemand.« Wimsey hatte, was das anging, gar keine Veranlassung, Sellon zu glauben – dieser Satz hatte eigentlich überhaupt keinen Sinn – aber er hatte, nun ja, aufrichtig geklungen. Er hörte wieder Sellons verzweifelten Ausruf: »Gehen Sie bitte nicht fort, Mylord! Sie werden mir glauben!« Kirk kramte in den Schubladen seines Gedächtnisses und fand die Worte, die ihm hier angebracht erschienen: Ihr habt Cäsar angerufen, und zu Cäsar sollt Ihr gehen. Aber Cäsar hatte sich dem Anruf verschlossen.
    Erst als Kirk müde und geduldig seinen Bericht für den Polizeipräsidenten schrieb, kam die große Erleuchtung über ihn. Die Feder in der Hand, hielt er mitten im Schreiben inne und starrte die gegenüberliegende Wand an. Ihm war da eine Idee gekommen. Und er war schon vorher ganz nah daran gewesen, nur hatte er den Gedanken da nicht richtig weiterverfolgt. Aber das erklärte natürlich alles. Es erklärte Sellons Aussage und wusch ihn rein; es erklärte, wieso er vom Fenster aus die Uhr gesehen hatte; es erklärte, wie es zugegangen war, daß Noakes hinter verschlossenen Türen ums Leben kam; es erklärte, warum die Leiche nicht beraubt worden war; und es erklärte den Mord – erklärte ihn weg. Denn einen Mord, sagte Kirk triumphierend bei sich, hatte es nie gegeben!
     
    Einen Augenblick, dachte der Polizeidirektor, während er sorgfältig, wie es seine Art war, die Sache von Anfang bis Ende durchdachte; nur nichts überstürzen. Da ist ein großer Haken gleich zu Beginn. Wie können wir den wohl aus dem Weg räumen?
    Wenn die Theorie stimmen sollte, mußte man – und das war der Haken – von der Annahme

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