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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Prinzip gegen Pomp bist. Von hier hat man einen schönen Ausblick über die Terrassen zu den Wasserspielen, die natürlich viel mehr Eindruck machen, wenn die Springbrunnen an sind. Das etwas albern aussehende Ding zwischen den Bäumen ist eine von Sir William Chambers’ Pagoden, und du kannst gerade noch das Dach der Orangerie sehen … Oh, sieh mal! Na bitte – du wolltest doch unbedingt Pfauen haben; sag nicht, wir hätten sie dir zuliebe nicht angeschafft.«
    »Du hast recht, Peter – es ist ein Märchenschloß.«
    Sie gingen die Treppe hinunter, kamen durch eine kalt wirkende Halle voller Plastiken und von dort durch eine lange Arkade in eine weitere Halle. Ein Diener holte sie ein, als sie vor einer mit klassischen Pilastern und einer geschnitzten Kranzleiste verzierten Tür stehenblieben.
    »Hier ist die Bibliothek«, sagte Peter. »Ja, Bates, was gibt’s?«
    »Mr. Leggatt, Mylord. Er möchte dringend Seine Gnaden sprechen. Ich habe ihm gesagt, daß er nicht da ist, aber Eure Lordschaft seien da, und er läßt fragen, ob Sie einen Augenblick Zeit für ihn hätten.«
    »Es geht wahrscheinlich um diese Hypothek – aber da kann ich nichts machen. Darüber muß er mit meinem Bruder sprechen.«
    »Er scheint sehr großen Wert darauf zu legen, mit Eurer Lordschaft zu sprechen.«
    »Oh – na gut, dann will ich mal. Du hast nichts dagegen, Harriet? – Es dauert nicht lange. Du kannst dich inzwischen in der Bibliothek umsehen – vielleicht begegnest du dort Vetter Matthew, aber er ist ganz harmlos, nur sehr schüchtern und ein bißchen taub.«
    Die Bibliothek mit ihren großen Büchernischen und der Bildergalerie darüber lag nach Osten, und es war schon ziemlich dunkel darin. Harriet fand das sehr erholsam. Sie spazierte umher, zog da und dort willkürlich einen in Kalbsleder gebundenen Band heraus, sog den süßlichen, etwas modrigen Geruch alter Bücher ein und lächelte über ein geschnitztes Paneel an einem der Kamine, auf dem die Wimseyschen Mäuse dem Wappen entflohen waren und zwischen tief eingekerbten Blumen und Weizenähren herumspielten. Einen großen Tisch mit hohen Stapeln von Büchern und Papieren ordnete sie Vetter Matthew zu – ein halb vollgeschriebenes Blatt in der etwas zittrigen Schrift eines älteren Herrn schien Teil einer Familienchronik zu sein. Daneben lag offen auf einem Stehpult ein dickes Manuskriptheft, in dem die Haushaltsausgaben des Jahres 1587 aufgeführt waren. Sie studierte ein paar Sekunden darin und identifizierte ein paar Dinge wie »zu I: zween kyssen avs rotem Sansenett für unser Lady Joans kämmerlin« und »zu II: zween spannhaken und III zween nagelin für selbigs«, dann setzte sie ihren Rundgang fort, bis sie um ein Bücherregal in die letzte Nische einbog und sich erschrocken einem älteren Mann im Morgenmantel gegenübersah. Er stand am Fenster, ein Buch in der Hand, und die Familienähnlichkeit war so deutlich – besonders die Nase –, daß sie an seiner Identität keine Sekunde zweifelte.
    »Oh!« sagte Harriet. »Ich wußte nicht, daß jemand hier war. Sind Sie –« Vetter Matthew mußte natürlich auch einen Nachnamen haben; der überspannte Vetter in Nizza war, wie sie sich erinnerte, nach Geralds und Peters Nachkommenschaft der nächste Titelerbe, demnach mußten sie Wimseys sein. »Sind Sie Mr. Wimsey?« – Dabei konnte er natürlich auch Oberst Wimsey oder Sir Matthew Wimsey oder gar Lord Irgendwas sein. »Ich bin Peters Frau«, fügte sie hinzu, um damit ihre Gegenwart zu erklären.
    Der ältere Herr lächelte sie recht freundlich an und verneigte sich mit einer leichten Handbewegung, als wollte er sagen: »Fühlen Sie sich wie zu Hause.« Er war schon ziemlich kahl, und seine grauen Haare waren über den Ohren und an den Schläfen sehr kurz geschoren. Sie schätzte ihn auf etwa fünfundsechzig Jahre. Nachdem er ihr dergestalt die Erlaubnis gegeben hatte, sich hier frei zu bewegen, wandte er sich wieder seinem Buch zu, und Harriet, die den Eindruck hatte, daß er zu einer Unterhaltung nicht aufgelegt zu sein schien, und sich außerdem erinnerte, daß er taub und schüchtern war, beschloß, ihn nicht weiter zu belästigen. Fünf Minuten später, als sie von einer Vitrine mit einer Anzahl Miniaturen aufschaute, sah sie, daß er sich aus dem Staub gemacht hatte und nun von einer kleinen Treppe, die zur Galerie emporführte, zu ihr herunterstarrte. Er verneigte sich wieder, dann verschwand der geblümte Morgenmantel vollends nach oben, gerade als

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