Hochzeit kommt vor dem Fall
jemand an der Innenwand des Zimmers das Licht anknipste.
»So im Dunkeln, Madame? Entschuldige, daß es so lange gedauert hat. Komm mit zum Tee. Dieser Kerl hat mich einfach nicht fortgelassen. Ich kann doch Gerald nicht daran hindern, eine Hypothek für verfallen zu – genaugenommen habe ich ihm sogar dazu geraten. Meine Mutter ist übrigens hergekommen, und im Blauen Salon wird Tee serviert. Sie möchte gern, daß du dort ein paar Porzellansachen bewunderst. Sie hat für Porzellan etwas übrig.«
Bei der Herzogin im Blauen Zimmer befand sich ein schmächtiger älterer Mann, leicht gebeugt, im adretten, altmodischen Knickerbockeranzug, mit Brille und dünnem grauem Ziegenbart. Als Harriet eintrat, erhob er sich von seinem Stuhl und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu, wobei er einen leisen, nervösen Meckerton von sich gab.
»Ah, Vetter Matthew!« rief Peter herzlich, indem er dem alten Herrn kräftig auf die Schulter schlug. »Komm, laß dich mit meiner Frau bekannt machen. Das ist mein Vetter, Mr. Matthew Wimsey, der dafür sorgt, daß Geralds Bücher nicht vor Alter und Verwahrlosung auseinanderfallen. Er schreibt die Geschichte der Familie ab Karl dem Großen und ist gerade so ungefähr bei der Schlacht von Roncevaux angekommen.«
»Guten Tag«, sagte Vetter Matthew. »Ich – ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Es weht heute ein recht kalter Wind. Peter, mein Lieber, wie geht es dir denn?«
»Besonders gut, seitdem ich dich wiedersehe. Hast du mir ein neues Kapitel zu zeigen?«
»Kein Kapitel«, antwortete Vetter Matthew. »Nein. Nur ein paar neue Seiten. Ich fürchte, ich habe mich bei meinen Nachforschungen auf ein Nebengleis locken lassen. Ich glaube, ich bin dem entschwundenen Simon auf der Spur – dem Zwilling, du weißt ja, der von der Bildfläche verschwand und von dem man annahm, daß er Pirat geworden sei.«
»Donnerwetter, gute Arbeit! Sind das Muffins? Harriet, ich will hoffen, daß du meine Leidenschaft für Muffins teilst. Das wollte ich eigentlich herausfinden, bevor ich dich heiratete, aber die Gelegenheit ergab sich nie.«
Harriet nahm ein Muffin und wandte sich an Vetter Matthew:
»Mir ist vorhin ein dummer Irrtum unterlaufen. Ich bin in der Bibliothek jemandem begegnet, den ich für Sie gehalten und mit Mr. Wimsey angesprochen habe.«
»Wie?« meinte Vetter Matthew. »Was war denn das? Jemand in der Bibliothek?«
»Und ich dachte, alle wären fort«, sagte Peter.
»Vielleicht war Mr. Liddell da, um etwas in der Geschichte der Grafschaft nachzusehen«, mutmaßte die Herzogin. »Warum hat er nicht darum gebeten, ihm Tee zu bringen?«
»Ich meine, es müßte jemand gewesen sein, der im Haus wohnt«, sagte Harriet, »denn er war im Morgenmantel. Er ist um die Sechzig, oben ziemlich kahl und trägt die restlichen Haare sehr kurz, und außerdem sieht er dir recht ähnlich, Peter – im Profil zumindest.«
»Ach du meine Güte!« rief die Herzogin. »Das muß der alte Gregory gewesen sein.«
»Großer Gott, ja! Das war er bestimmt«, bestätigte Peter, den Mund voll Muffin. »Aber wirklich, das finde ich sehr nett vom alten Gregory. Normalerweise traut er sich nicht so früh am Tag heraus – wenigstens nicht für Besucher. Das war ein Kompliment an dich, Harriet. Sehr anständig von dem alten Knaben.«
»Wer ist der alte Gregory?«
»Mal überlegen – irgendein Vetter des achten – neunten – welcher Herzog war es denn nun, Vetter Matthew? – der aus Williams und Marys Zeit jedenfalls. Gesprochen hat er wohl nicht, wie? … Nein, das tut er nie, aber wir hoffen alle, daß er sich eines Tages dazu entschließen wird.«
»Ich dachte vorigen Montagabend schon, jetzt sagt er gleich was«, sagte Mr. Wimsey. »Da stand er in der vierten Nische vor den Regalen, und ich mußte ihn einfach stören, um an die Bredon-Briefe heranzukommen. Ich sagte: ›Bitte, entschuldige mich, nur einen Augenblick‹, und da lächelte er und nickte und schien drauf und dran zu sein, etwas zu sagen. Aber dann hat er es sich doch anders überlegt und ist verschwunden. Ich hatte schon Angst, ich könnte ihn gekränkt haben, aber er tauchte dann Minuten später wieder auf, die Freundlichkeit in Person, direkt vor dem Kamin, um zu zeigen, daß er nichts übelgenommen hatte.«
»Man vertut viel Zeit mit Entschuldigungen und Verneigungen vor den Familiengespenstern«, sagte Peter.
»Man sollte einfach durch sie hindurchgehen wie Gerald. Das ist soviel einfacher und scheint keiner Seite weh zu
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