Hochzeit kommt vor dem Fall
Polizeidirektor ungerührt. »Würden Sie so freundlich sein und Mrs. Ruddle sagen, daß sie hier gewünscht wird? Wir müssen diese Zeiten noch etwas genauer feststellen«, fuhr er, an Sellon gewandt, fort, während dieser etwas knurrte und ein Messer hervorholte, um seinen Bleistift zu spitzen.
»Na ja«, sagte Peter in einem Ton, der fast herausfordernd klang, »in dem Punkt war sie jedenfalls ganz ehrlich.«
»Ja, Mylord. Sie wußte darüber Bescheid. Ein wenig Wissen ist ein gefährlich Ding.«
»Nicht Wissen – Bildung!« verbesserte Peter ihn rechthaberisch. »Ein wenig Bildung – Alexander Pope.«
»Wirklich?« fragte Mr. Kirk, kein bißchen aus dem Gleichgewicht gebracht. »Das muß ich mir mal merken. So! Es sieht also nicht danach aus, als ob sich jemand anders die Schlüssel hätte beschaffen können, aber man kann nie wissen.«
»Ich glaube, sie hat die Wahrheit gesagt.«
»Vermutlich gibt es mehrere Wahrheiten, Mylord. Es gibt eine Wahrheit, soweit man sie kennt; und es gibt eine Wahrheit, soweit man danach gefragt wird. Aber sie ergeben noch nicht die ganze Wahrheit – nicht notwendigerweise. Zum Beispiel habe ich das kleine Frauchen nicht gefragt, ob sie das Haus vielleicht hinter jemand anderem abgeschlossen hat, nicht wahr? Ich habe nur gefragt, wann sie zuletzt ihren Onkel gesehen hat. Verstehen Sie?«
»Ja, ich verstehe. Ich persönlich ziehe es immer vor, keinen Schlüssel zu dem Haus zu besitzen, in dem die Leiche entdeckt wurde.«
»Da ist was dran«, räumte Kirk ein. »Aber es gibt gewisse Umstände, unter denen es Ihnen lieber sein könnte, wenn Sie es selbst sind, und nicht jemand anders, wenn Sie mich verstehen. Und es gibt Zeiten, da – was glauben Sie, was sie wohl gemeint hat, als sie sagte: Was habe ich nur getan? Wie? Vielleicht ist ihr da eingefallen, daß sie den Schlüssel doch einmal herumliegen gelassen hat – absichtliches Versehen. Oder vielleicht –«
»Es ging doch um das Geld.«
»Stimmt. Und vielleicht war ihr noch etwas anderes eingefallen, was sie getan hatte und was weder ihr noch jemand anderem viel nützte, wie sich herausstellte. Irgend etwas hat sie uns verheimlicht, wenn Sie mich fragen. Wenn sie ein Mann wäre, hätte ich es schon schnell genug aus ihr herausgeholt – aber Frauen! Die fangen an zu heulen und zu schluchzen, und dann kann man überhaupt nichts mehr mit ihnen anfangen.«
»Stimmt«, sagte Peter und empfand nun seinerseits eine momentane Abneigung gegenüber dem ganzen Geschlecht, einschließlich seiner Frau. Immerhin hatte sie ihn wegen der Geschichte mit dem Halsumdrehen mehr oder weniger heruntergeputzt. Und die Dame, die sich jetzt beim Eintreten die Hände an der Schürze abwischte und mit wichtigtuerischer Stimme rief: »Haben Sie nach mir gerufen, Mister?« – war auch nicht gerade dazu geeignet, die stumme Saite der Ritterlichkeit in Schwingungen zu versetzen. Kirk dagegen wußte, woran er mit den Mrs. Ruddles dieser Welt war, und griff die Stellung zuversichtlich an.
»Ja. Wir wollten den Zeitpunkt dieses Mordes noch ein wenig genauer einengen. Also, Crutchley sagt, er hat Mr. Noakes am Mittwochabend gegen zwanzig nach sechs noch lebend gesehen. Da waren Sie wohl schon nach Hause gegangen, ja?«
»Ja. Ich war ja immer nur morgens bei Mr. Noakes. Nach dem Mittagessen war ich nie mehr da.«
»Und als Sie andern Morgens kamen, fanden Sie das Haus verschlossen?«
»Ja. Ich hab fest an beide Türen geklopft – er war ja ein bißchen taub, drum hab ich immer sehr laut geklopft, und dann hab ich unter seinem Schlafzimmerfenster gerufen und dann wieder geklopft, und wie darauf nichts passiert ist, hab ich gesagt: ›Zum Kuckuck mit dem Kerl, der ist ab nach Broxford.‹ Er muß gestern abend den Zehnuhrbus genommen haben, hab ich gedacht. Na so was, sag ich bei mir, er hätte mir doch Bescheid sagen können, und mein Geld für die letzte Woche hat er mir auch noch nicht gegeben.«
»Was haben Sie sonst noch getan?«
»Nichts. Da gab’s ja nichts zu tun. Nur den Bäcker und den Milchmann abbestellt. Und die Zeitung. Und bei der Post hab ich Bescheid gesagt, sie sollen seine Briefe zu mir bringen. Aber er hat keine Briefe gekriegt, nur zwei, und das waren Rechnungen, darum hab ich sie nicht weitergeschickt.«
»Aha!« sagte Peter. »Das ist die richtige Art, mit Rechnungen umzugehen. Da lasset sie legen, wie der Dichter grammatikalisch nicht ganz einwandfrei sagt, gleich der Gans mit den goldenen Eiern.«
Mr. Kirk
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