Hochzeit mit Hindernissen
Naturgewalten genießen, und einen Augenblick lang fragte Renato sich, ob er dieselbe Frau vor sich hatte, die ihn noch vor wenigen Minuten beschimpft hatte.
Heather schien seine Verunsicherung bemerkt zu haben, denn unvermittelt wandte sie sich um und sah ihn mit einem herausfordernden Lächeln an. Im nächsten Moment hatte Renato sie auch schon umarmt und an sich gezogen.
Es erfüllte Heather mit heimlicher Genugtuung, dass es ihr gelungen war, ihn zu überraschen, wenn nicht gar zu überrumpeln. Und anders als Renato beim Frühstück konnte sie ihren kleinen Triumph durchaus genießen.
Was vor allem daran lag, dass er sie mit einer Leidenschaftlichkeit küsste, die sie augenblicklich die Kälte vergessen ließ. Der Regen hatte ihre Kleidung durchgeweicht, und als sie sich an Renato schmiegte und die Hand über seinen Nacken und Oberkörper gleiten ließ, konnte sie durch den Stoff hindurch die atemberaubende Kraft dieses faszinierenden Mannes fühlen.
Nun wusste sie auch, weshalb sie sich vom ersten Moment an nach ihm gesehnt hatte – selbst wenn sie einen großen Bogen um ihn gemacht hatte. Dass es ihm nicht anders mit ihr erging, hatte er oft genug bewiesen, und wenn beide etwas verband, dann die Widersprüchlichkeit der Gefühle, die sie füreinander empfanden: Sehnsucht und Begierde, Zuneigung und offene Feindseligkeit – und nun auch noch ein rasendes Verlangen, das sich ungehindert Bahn brach.
“Weißt du jetzt, warum du mit Lorenzo nie glücklich geworden wärst?”, fragte Renato.
Seine Selbstgefälligkeit ärgerte Heather maßlos, und unwillkürlich hielt sie es für dringend erforderlich, ihm zu zeigen, dass er sich seines Sieges zu früh freute.
“Wenn du wüsstest, wie ähnlich ihr euch seid”, hielt sie ihm entgegen. “Ihr seid beide unerträgliche Egoisten, die auf den Gefühlen anderer Menschen herumtrampeln, und von uns Frauen versteht ihr beide nichts.”
Renato schien ihr umgehend das Gegenteil beweisen zu wollen. Er legte die Hand auf ihre Brust, während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte. Gleichzeitig flüsterte er zärtlich Worte wie Lust und Leidenschaft, Schicksal und Bestimmung.
Nur von Liebe sprach er nicht. Und auch wenn ihr Körper kaum erwarten konnte, was dieser Mann versprach, zwang sich Heather, sich daran zu erinnern, dass für eine Ehe, wie sie sie sich erträumte, Liebe unerlässlich war.
Kaum hatte sie sich aus Renatos Umarmung gelöst, hörte der Regen so unvermittelt auf, wie er eingesetzt hatte. Heather trat aus der Nische hervor, um den Tempel genauer zu betrachten.
Doch was sie sah, drohte die Wünsche und Sehnsüchte, die sie mühsam unterdrückt hatte, augenblicklich wieder anzufachen. Denn wohin sie auch sah, begegneten ihr in Stein gemeißelte Darstellungen der Natur in ihrer rohesten und zugleich intimsten Form: volles, reifes Korn, das sich im Wind bog, Tiere, die sich paarten, vor allem aber immer wieder Männer und Frauen, deren Gesichter unschwer die Ekstase verrieten, die sie bei der Schöpfung neuen Lebens empfanden.
“Der Tempel wurde zu Ehren der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres errichtet.” Renato hatte sich zu Heather gesellt, und ihm war nicht entgangen, wie sehr die drastischen Abbildungen sie befremdeten und zugleich faszinierten. “Die Reliefe und Skulpturen sollen die Menschen an ihre Bestimmung erinnern, der sie sich auf Dauer nicht entziehen können, heute wie vor zweitausend Jahren.”
“Willst du damit sagen, dass es nicht allein unsere Entscheidung ist, was wir aus unserem Leben machen?”
Renato nickte. “Nenn es, wie du willst, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es eine höhere Vorsehung gibt, die sich unserem Einfluss entzieht.”
“Und was sieht diese Vorsehung deiner Meinung nach für uns vor?”, fragte Heather. Der Gedanke an ein Schicksal, wie Renato es verstand, war ihr völlig fremd. Doch klang er so überzeugt, dass sie neugierig geworden war.
“Das ist schwer zu sagen”, erwiderte er und sah sie nachdenklich an. “Fest steht hingegen, was es
nicht
vorsieht. Ich halte es für ausgeschlossen, dass wir jemals zusammenleben könnten, ohne uns gegenseitig zu bekämpfen.”
Unvermittelt begann er zu lächeln. “Trotzdem ist es unsere Bestimmung, das Leben gemeinsam zu verbringen. Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass du einen anderen Mann heiratest.”
Sein Gesichtsausdruck erinnerte Heather unwillkürlich an den Ausflug auf der
Santa Maria.
Das unbekannte Gefühl der Freiheit, das Renatos Gegenwart
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