Hocking, A: Tochter der Tryll - Entzweit: Band 2
Büro.
Ich war noch nie im privaten Arbeitszimmer der Königin gewesen, aber es sah genauso aus wie all ihre anderen Büroräume. Viele Regale, ein riesiger Eichenholzschreibtisch und ein rotes Samtsofa vor der Fensterfront. An einer Wand hing ein Bild von Elora, und der Pinselführung nach zu urteilen, handelte es sich um ein Selbstporträt.
Elora saß an ihrem Schreibtisch, vor sich einen Stapel Papiere. Sie hielt einen Federhalter aus Elfenbein in der Hand, so verkrampft, als habe sie Angst vor dem, was sie gleich unterschreiben musste. Neben ihr stand ein Tintenfass.
Meine Mutter hatte den Kopf noch nicht gehoben, und ihr schwarzes Haar fiel ihr wie ein Vorhang vors Gesicht. Ich wusste nicht, ob sie mich überhaupt bemerkt hatte.
»E lora, ich muss mit dir reden.« Ich ging zu ihrem Schreibtisch.
»D as habe ich gehört. Spuck’s aus, ich habe heute nur wenig Zeit.« Sie schaute zu mir hoch und ich sog scharf die Luft ein.
Ich hatte sie noch nie so verhärmt gesehen. Ihre sonst so makellose Haut schien über Nacht gealtert zu sein. Auf ihrer Stirn sah ich tiefe Falten, die gestern noch nicht da gewesen waren. Ihre dunklen Augen hatten einen milchigen Schimmer, als litte sie auf einmal an grauem Star. Neben ihrem Scheitel sah ich eine Strähne weißen Haares, und ich wunderte mich, dass sie mir nicht gleich beim Hereinkommen aufgefallen war.
»P rinzessin, ich scherze nicht«, seufzte Elora verärgert. »W as willst du?«
»I ch wollte mit dir über Lo…, äh, den Markis Staad sprechen«, stammelte ich.
»I ch glaube, du hast zu dem Thema schon mehr als genug gesagt.« Sie schüttelte den Kopf und ein Tropfen Tinte fiel von ihrer Feder und landete auf dem Schreibtisch.
»I ch glaube, es wäre falsch, ihn hinzurichten«, sagte ich. Meine Stimme gewann an Selbstvertrauen.
»D u hast deine Meinung bereits sehr deutlich geäußert, Prinzessin.«
»P olitisch betrachtet ist eine Exekution einfach nicht sinnvoll«, fuhr ich fort. Ich würde mich nicht abwimmeln lassen. »W enn wir ihn töten, wird es nur noch mehr Vittra-Angriffe geben.«
»D ie Vittra werden nicht aufhören, uns anzugreifen, nur weil wir den Markis am Leben lassen.«
»D eshalb ist es ja so wichtig, sie nicht noch zusätzlich zu provozieren«, sagte ich. »E s gab auf beiden Seiten schon zu viele Verluste wegen mir. Es sollte nicht noch weitere geben.«
»I ch kann ihn nicht mehr sehr lange gefangen halten«, sagte Elora. Dann ließ sie mich in einem seltenen Moment der Aufrichtigkeit hinter ihre Fassade blicken und ich sah, dass sie mit ihren Kräften am Ende war. »W as ich einsetze, um ihn festzuhalten, ist… es zehrt an mir.«
»D as tut mir leid«, sagte ich hilflos. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, dass sie mir gegenüber Schwäche zeigte.
»E s wird Eure junge Hoheit freuen zu erfahren, dass ich just im Augenblick nach einer Lösung des Problems suche«, sagte Elora. Bei dem Wort »H oheit« klang ihre Stimme besonders verbittert.
»W as hast du vor?«, fragte ich.
»I ch suche in alten Abkommen nach Präzedenzfällen für den Vertrag, den ich aufsetzen möchte.« Sie zeigte auf die Dokumente vor ihr. »D amit wir den Markis zurückgeben und uns etwas Frieden erkaufen können. Ich glaube nicht, dass Oren die Jagd nach dir jemals aufgeben wird, aber wir brauchen eine Ruhepause vor seinem nächsten Angriff.«
»O h«, sagte ich entwaffnet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mir oder Loki wirklich helfen würde. »W ie kommst du darauf, dass Oren einen weiteren Angriff führen kann? Die Vittra sind doch viel zu angeschlagen, um zu kämpfen.«
»D u weißt wirklich rein gar nichts über die Vittra oder deinen Vater«, sagte Elora gleichzeitig resigniert und herablassend.
»U nd wessen Schuld ist das?«, fragte ich. »I ch habe erst vor zwei Monaten herausgefunden, dass es euch überhaupt gibt! Ich tappe im Dunkeln, und zwar nur deshalb, weil du mich nicht aufklärst. Du erwartest von mir, dein Königreich zu regieren, weigerst dich aber, mir irgendetwas darüber zu erzählen!«
»M ir läuft die Zeit davon, Prinzessin!«, fuhr Elora auf. Sie sah mich an und ich hätte schwören können, dass sie Tränen in den Augen hatte, aber sie hatte sich gefasst, bevor ich mir sicher sein konnte. »I ch würde dir so gerne alles erzählen, aber mir fehlt die Zeit dazu! Du erfährst so viel wie nötig. Ich wünschte, es wäre anders, aber so ist nun mal die Welt, in der wir leben.«
»W as meinst du damit?«,
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