Höchstgebot
checkte de Man die Lage. Auf dem ansonsten menschenleeren Vorplatz standen Polizisten im Halbkreis um Baars herum und hielten ihre Pistolen auf ihn gerichtet.
»Die Bullen weg«, schrie de Man. »Sofort!«
Molendorp gab ein Zeichen und seine Leute zogen sich zurück.
De Man, Debriek und ihre Geisel bewegten sich wie siamesische Drillinge auf die Mitte des Vorplatzes zu. Baars folgte ihnen mit dem Mädchen.
Auch Micky und die Polizisten erschienen jetzt im Ausgang.
»Schön stehen bleiben!«, warnte Baars.
»Wo wollen die hin?«, fragte Molendorp. »Hey, was macht ihr? Der Wagen fährt direkt vor die Tür.«
»Mach dir keine Sorgen«, rief de Man, jetzt schon auf halbem Weg zur Straße. »Wir kommen gleich wieder. Und nicht bewegen, sonst …« Er streichelte der Frau mit der Pistole über die Wange. Drei Motorräder schossen auf der Straße heran und bremsten am Rande des Platzes scharf ab. Debriek löste sich aus der Gruppe und lief zu einer der Maschinen. De Man und Baars zerrten die Geiseln schnell und grob mit sich und stießen sie, kurz bevor sie auf die Soziussitze der anderen Maschinen stiegen, fast synchron zu Boden. Die schwarz gekleideten Fahrer ließen die Motoren aufbrüllen und rasten gegen die Fahrtrichtung der Einbahnstraße zum Vrijthof.
»Das sind Trottel. Da kommen die nie raus. In einer Stunde sitzen sie auf dem Präsidium«, behauptete Molendorp, während sie auf die Straße liefen und den Motorrädern hinterherschauten. Aber die Bestürzung, so hinters Licht geführt worden zu sein, war ihm ins Gesicht geschrieben.
Anouk lag regungslos auf der Treppe. Sie war erst in sich zusammengesunken und dann kopfüber drei, vier Stufen heruntergerutscht. Blut sickerte aus einer Schusswunde knapp unterhalb der Rippen heraus, ein Teil lief durch den Ausschnitt ihres schwarzen Kleides zu ihrem Hals empor und zeichnete dort ein verzweigtes rotes Flussdelta auf ihre weiße Haut.
Robert sah schnell zu Katja herüber, die erschöpft auf die Treppe gesunken war, ihm aber mit hochgerecktem Daumen signalisierte, dass alles okay sei. Er lief zu Anouk, drehte sie vorsichtig, zog ihren Oberkörper zu sich heran und legte ihren Kopf an seine Brust.
Er redete mit ihr, versprach, dass der Arzt gleich da sein würde, aber Anouk reagierte nicht, ihr Atem war ein leises Rasseln. Der Kopfhörer saß noch in ihrem Ohr. Robert zog ihn vorsichtig heraus. »Das war aber ganz anders bei Diva. Das müssen wir noch mal üben«, sagte er in der einsamen Hoffnung, dass Anouk plötzlich lächeln würde.
Wie von einem weit entfernten Radio am Strand hörte er aus dem Kopfhörer ein Lied von Get Well Soon , das er selbst auf Anouks Player überspielt hatte. »We are ghosts«, sagte Robert und strich Anouk eine schwarze Locke aus der Stirn, »was für einen schönen, traurigen Soundtrack du dir ausgesucht hast.« Er streichelte ihr Haar, sang leise die letzten Verse des Songs mit: »Are we human? Or are we dynamite?« Ihr Atem wurde ruhiger, setzte manchmal aus. »And god is dead. And god is dead.« Dann zog ihn ein Sanitäter behutsam von Anouk fort.
Während Micky und Molendorp verfolgten, wie die Motorräder weit hinten auf den Vrijthof abbogen, hörten sie das schnell anschwellende Rotorgeräusch eines Helikopters.
»Unsere Jungs!«, triumphierte Molendorp. Er rannte wieder los, um vielleicht schon auf dem großen Platz zusehen zu können, wie die Flüchtigen gestellt wurden. Mit zwei Laufschritten holte Micky ihn ein, doch an der Ecke, an der ein Haufen Jugendlicher eine imperialistische Frittengießerei belagerte, wurden sie von einer langen roten Bahn auf Rädern ausgebremst.
Molendorp ging nervös auf dem Bürgersteig hin und her. »Wartet nur, wartet nur«, murmelte er. Um den Vrijthof herum näherten sich von überall her Sirenen und weckten die Neugierde der Mädchen und Jungen. Dann endlich war die Stadtrundfahrtenbahn vorbeigezogen und sie liefen unter dem Gejohle der Jugendlichen über die Straße.
Molendorps Vorfreude zerfiel augenblicklich zu Staub. Der Helikopter, der mitten auf dem Vrijthof gelandet war und dessen Rotorblätter beinahe ungemindert weiterkreisten, trug keine Hoheitszeichen der Polizei. Während die ersten Streifenwagen aus den Seitenstraßen schossen und sich quer stellten, um den Vrijthof abzusperren, ließen die Motorradfahrer ihre Maschinen achtlos zu Boden fallen und kletterten kurz hinter Debriek und de Man in den Hubschrauber hinein, der sofort wieder abhob und davonfegte.
»Wo ist
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