Höchstgebot
Stock darunter blätterte ein Kollege gleich neben dem vorderen der zwei Treppenaufgänge in einem Bildband. Um ihn herum war einiges los, wohingegen sich auf Roberts Etage nur eine Handvoll Kunden für die Bestände an Wissenschafts-, Rechts- und Managementliteratur interessierte.
Robert hätte ihr sicher von der Innenarchitektur vorgeschwärmt, wenn er jetzt neben ihr gestanden hätte, dachte Micky, während sie auf den langen, schwarzen Block aus Regalen, Stahlgerüsten und Lochgitterplatten schaute, der bis knapp unter das Gewölbe des Kirchenschiffs hochgezogen worden war.
Dieser frei stehende Einbau wirkte selbst wie ein Schiff, ein Kreuzfahrtschiff für Buchliebhaber, die über die Außengalerien wie an einer Reling entlangflanierten und ab und zu auf das kabbelige Meer neugieriger Menschenköpfe hinunterschauten.
Sie blickte zu den zwei Polizisten hinüber, die rechts von ihr die Notausgangstüren sicherten. Sie kamen aus Nordholland. Molendorp hatte nach Prüfung der Personalakten Mitglieder der dortigen Verhaftungseinheit angefordert, um die Aktion nicht durch alte limburgische Bekanntschaften mit Debrieks Söldnern zu gefährden. Die meisten waren im Erdgeschoss und vor der Kirche postiert. Zwei Kollegen sollten die Gäste im Café abschirmen, das in den Halbkreis des Altarraums eingebaut worden war. Auch beim Haupteingang hatten zwei Polizisten vor allem die Aufgabe, Unbeteiligte zu schützen. Sie und die Kollegen, die den Zugriff durchführen sollten, studierten scheinbar aufmerksam die Informationstafeln zu einem mittelalterlichen Wandgemälde über Leben und Werk des Thomas von Aquin, durchstöberten die Designbücherstapel auf den Ramschtischen und lasen die Klappentexte der literarischen Neuerscheinungen. Dieser Einsatz in Zivil war ein verkappter Bildungsurlaub.
»Zielpersonen treffen in einer Minute ein«, meldete Molendorp.
Endlich erschien Debriek. Micky erkannte ihn sofort an der Kleidung, deren Beschreibung das Observationsteam durchgegeben hatte, einem stahlgrauen Anzug mit hellblauem, kariertem Hemd. In der Hand hielt er eine kleine Tasche, die Platz genug für fünfzig Zwanzigerbündel mit Fünfhunderteuroscheinen bot.
Etwa in der Mitte der Kirche, nicht weit von Micky entfernt, scherte er aus dem Strom der Neuankömmlinge aus und orientierte sich. Micky sah, wie Robert und er Blickkontakt herstellten und Debriek den Aufzug ansteuerte. Inzwischen hatte auch de Man die Kirche betreten und sich so aufgestellt, dass er die Ausgänge des Lifts auf den Etagen beobachten konnte.
Die Aufzugstür glitt beiseite. Debriek betrat den Vorraum und schaute Robert geradezu enttäuscht an. »Ich hatte Sie für anständiger gehalten«, sagte er anstelle einer Begrüßung.
»Anständiger als Sie?«, fragte Robert zurück.
»Überprüfen Sie, wie anständig ich bin.« Debriek hielt ihm die Tasche entgegen.
Robert nahm sie nicht an. »Wir wechseln in die erste Etage. Gerne nach Ihnen«, sagte er und wies auf die Treppe.
»Und warum hier?«, fragte Debriek, als sie den unteren Treppenabsatz erreicht hatten.
»Ich habe es gleich ein wenig eilig. Termine, Termine, Sie kennen das ja.«
»Bringen wir es hinter uns«, sagte Debriek missmutig.
Robert hatte seine Sache bisher gut gemacht, fand Micky.
Er stand an der vereinbarten Stelle für den Austausch und setzte die Tasche auf dem Geländer ab, um den Inhalt zu prüfen.
Debrieks Bodyguard hatte inzwischen etwa drei Meter vor Micky Position bezogen, um seinen Chef besser im Blick zu haben. Wie er, sah auch Micky, dass Robert den Reißverschluss der Tasche wieder zuzog. Es schien alles in Ordnung zu sein, denn er fischte das Tütchen mit dem Microdot aus seiner Hemdtasche und übergab es Debriek.
Der zog ein Okular hervor, klemmte es in sein rechtes Auge und prüfte den Dot wie ein Juwelier einen Diamanten. Gut, dass Molendorp am Ende den echten Dot doch noch herausgerückt hatte. Robert und Katjas Kryptografieexperte hatten ihn überzeugt, dass auf die Schnelle weder die Farbscholle noch der Ausdruck des Codes gut genug zu kopieren waren, um Debriek täuschen zu können.
»Wir haben ein Problem«, unterbrach Katja plötzlich die Funkstille. »Fünf Meter vor dem Café. Die Frau im schwarzen Audrey-Hepburn-Kleid. Mitte dreißig, dunkles kurzes Haar, Größe circa einsfünfundsechzig. Das ist Anouk van Berg. Eine Kollegin von Robert, Debriek hat sie engagiert. Sie ist anscheinend auf dem Weg zu uns.«
Von allen Seiten zog Anouk nervöse Blicke auf
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