Hoehenfieber
seines Vaters zu treten. Das Gegenteil war eingetreten, so, wie Ziad und alle anderen Verwandten es vorhergesagt hatten. Fadi rannte seinem Vater Sheikh Rashad in Siebenmeilenstiefeln hinterher und würde nicht mehr lange brauchen, um die Gemeinheiten und die Schamlosigkeit des Scheichs zu übertreffen.
Langsam stieß Sadia den Atem aus und wandte sich in Richtung Torbogen. Die Erwartung, Majid würde sie aufsuchen, hatte sich gleich nach dem ersten Hoffnungsfunken verflüchtigt. Das Rascheln klang zu leise, die Schritte zu leicht.
Das Mädchen, das schüchtern durch die kunstvoll an den Bogen drapierte Rosenflut trat, hatte Sadia nie zuvor gesehen. Der Anblick fühlte sich an wie ein Stich mitten ins Herz. Die Kleine mochte kaum achtzehn, neunzehn sein und strahlte noch die reine, unbefleckte Schönheit eines unberührten Kindes aus. Nur wenige Tage, und in ihr liebliches Antlitz würden sich Traurigkeit und Schmerz eingraben. Viel zu viele dieser gebrochenen Veilchenaugen hatte Sadia kommen und gehen sehen. Ihr Leib verkrampfte innerlich.
Das Mädchen senkte den Kopf. „Prinz Fadi wünscht, Sie zu sehen.“
Ihre bezaubernde Stimme, rein und süß, ihre englische Aussprache mit einem italienischen Akzent untermalt – so viel Mädchenhaftigkeit und Charme ließen Sadia sogar in Anbetracht der unzähligen Male zuvor, die eine Neue ihr Leben für eine Zeit lang mit dem Harem geteilt hatte, einen Schauder über die Haut rinnen.
„Wie heißt du, Kleine?“, gab sie ebenso sanft zurück.
Das Mädchen antwortete, ohne den Kopf zu heben. „Alessa.“
Sadia betrachtete Alessas schlichtes weißes Leinenkleid. Unter dem Stoff zeichneten sich feste, kleine Brüste ab, von keinem Büstenhalter gebändigt. Der sackähnliche Fetzen Stoff betonte die Mädchenhaftigkeit ihrer Figur, fiel locker über ihre schmalen Hüften, und obwohl er keineswegs figurbetont auf ihrer Haut lag, gab er dem wohlgeformten Körper der Kleinen einen anmutigen Zauber. Der Saum endete eine Handbreit oberhalb der Mitte ihrer Oberschenkel. Die Muskeln ihrer langen, gebräunten Beine zitterten leicht. Ihre zierlichen Füße steckten in einfachen weißen Sandalen, die Zehennägel glitzerten in mädchenhaftem Rosé.
„Bitte“, sagte Alessa, „Prinz Fadi ist sehr ungeduldig.“
Wer sollte das besser wissen als sie? Sadia nickte.
Sie sah sich noch einmal zu der Bank und ihrem Buch um und beschloss, es liegen zu lassen, um später wieder hierher zurückzukehren. Mit dem Buch in der Hand brauchte sie ihrem Sohn nicht gegenüberzutreten. Er würde sie nur anfahren, warum sie Zeit für dieses unnütze Zeug verschwende und ihr auftragen, sich anderen Aufgaben zu widmen, die er für sinnvoller hielt. Bildung gehörte für ihn nicht zu den Fertigkeiten einer Frau, doch für sich hielt er sie auch nicht unbedingt für angebracht.
Erst vor zwei Wochen war er aus Rom zurückgekehrt, wo er sein BWL-Studium nach nur zwei Semestern abgebrochen hatte. Im Grunde glaubte sie nicht einmal, dass er überhaupt übermäßig viele Stunden an der Sapienza , der Università di Roma , verbracht hatte, denn er hatte es nicht eilig gehabt, überhaupt mit dem Studium zu beginnen.
Zwar teilte er die Vorliebe seines Vaters für alles, was auch nur entfernt an Italien erinnerte, doch begrenzte sich sein Aufnahmevermögen neben einigen derben italienischen Ausdrücken allein auf Ferrari, Lamborghini und Maserati. Vielleicht noch ein Haarbreit auf die Aktienwerte an der Mailänder Börse, den Carraramarmor in seiner privaten Luxusbadelandschaft oder die Ausstattung seiner zweihundert Quadratmeter großen Ankleideflucht.
Die exklusive Herrenmode darin reichte zur Einrichtung einer Edelboutique mit den angesagtesten Kollektionen eines jeden Nobeldesigners mit Rang und Namen. Allein seine guardaroba di piedi , natürlich in einem klimatisierten, abgetrennten Nebenraum der Ankleideflucht gelegen, umfasste sicher tausend Paar edelster Designerschuhe. Die Übersetzung seines mangelhaften Italienischs ergab wahrscheinlich ein Kauderwelsch, bei dem sich die Fußnägel eines Muttersprachlers aufrollten, doch das war ihm völlig egal.
Sadia ging Alessa voran. Zwei Schatten begleiteten ihren eigenen und bewegten sich in einem gemeinsamen Takt wie ein dunkles Omen lang gestreckt vor ihren Füßen. Bei jedem Schritt löste sich ihr Schuh von dem siamesischen Zwilling am Boden, um beim nächsten Auftreten ebenso unlösbar daran festzukleben, wie sie in ihrem Leben feststeckte.
Sie
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