Höhenrausch (German Edition)
lächerliche neunzehn Euro gekostet hat. Wahrscheinlich würde man zehn Euro zahlen müssen, um das Bordmagazin durchblättern zu dürfen.
Gut, ich gebe zu, dass ich schon beim Kofferpacken das Gefühl hatte, nicht ganz, sagen wir mal: effektiv vorzugehen.
Aus mangelnder Entscheidungsfreude entschied ich mich mal wieder, mich nicht zu entscheiden. Warum vier der fünf vorhandenen Sommerkleider zu Hause lassen? Und wozu hat man denn drei Paar Zehensandalen? T-Shirts kann man sowieso nie genug dabeihaben. Und falls es abends frisch wird, gehört unbedingt auch was zum Überziehen ins Gepäck. Ein Pullover zum Beispiel. Und eine Jeansjacke. Und eine Strickjacke sollte auch nicht fehlen.
Ich habe es einfach nicht so gern, entscheiden zu müssen. Und das gilt eigentlich für jeden Lebensbereich. Ich bin der Typ, der im Restaurant tagelang braucht, um die Bestellung aufzugeben, und nachher trotzdem unglücklich auf die Teller der anderen glotzt.
Was ist das auch für eine Qual, sich für das Lamm in Semmelbröselkruste und damit gleichzeitig gegen das Zitronenhühnchen, das Kalbsgeschnetzelte und die vier allesamt köstlich klingenden Fischgerichte zu entscheiden!
Als wir die Abflughalle erreicht hatten, begann Erdal sein Anti-Panik-Programm. Zwanzig Minuten vor Abflug, so hatte er in diversen Feldstudien herausgefunden, mussten auf leeren Magen zwei Gläser Sekt eingenommen werden. An Bord hatte alle fünfundvierzig Minuten ein weiteres Glas zu folgen.
Das Problem war, dass unsere Maschine anderthalb Stunden auf dem Rollfeld warten musste.
Erdal wurde zusehends ängstlicher. Und auch ich. Ich bin wirklich nicht der Typ, der Ruhe bewahrt. Gelassen bin ich unter keinen Umständen. In jedem Katastrophenfilm würde man mir die Rolle der hysterischen Kuh zuweisen, die allen mit ihrem Gekreische auf die Nerven geht und als Erste vom Tsunami mitgerissen oder aus dem Hochgeschwindigkeitszug geschubst wird.
Nach dem Start bestellte Erdal Whisky auf Eis und holte seine Tasche aus dem Gepäckfach.
«Jetzt hilft nur noch Notfallmedizin! Diese unzuverlässigen Menschen im Cockpit haben mit ihren Verzögerungen mein Beruhigungskonzept komplett durcheinander gebracht. Das hat man nun von diesen gottverdammten Billigfliegern!»
Ich rechnete mit Valium, Tavor rapid, Äther, Spritzbesteck, einer kompletten Anästhesieausrüstung – aber aus Erdals Tasche kam ein Fläschchen mit moosgrüner Flüssigkeit zum Vorschein: «Wick Medinight – der Erkältungssaft für die Nacht».
Ich war erleichtert, denn ich hatte befürchtet, Teil einer Aufsehen und Unmut erregenden Aktion zu werden.
«Und das hilft dir?»
«Zu Hause schlafe ich davon in zwanzig Minuten ein. Mit dem Whisky müsste das Zeug noch schneller wirken.»
Er trank zwei Messbecher leer.
Wir warteten.
Was soll ich sagen? Irgendwie erzielte der Trank nicht die gewünschte Wirkung. Stattdessen war Erdal nach zehn Minuten überzeugt, Wick Medinight würde nicht seine Sinne einschläfern, sondern seine Lungen.
«Ich spüre es ganz deutlich, ich stehe kurz vor einer Atemlähmung!»
«Hör auf, das bildest du dir nur ein.»
«Jetzt stell dir mal vor, dies sind die letzten Worte, die du zu mir sagst. Du würdest deines Lebens nicht mehr froh werden. Hast du dir überlegt, wie peinlich das auf meiner Beerdigung für dich wird? Die Leute fragen dich, wie du mir in meinen letzten Momenten beigestanden hast, und während mein Sarg in die Erde gelassen wird, wirst du zugeben müssen, das deine letzten Worte an mich waren: ‹Hör auf, das bildest du dir nur ein.› Na ja, immerhin könntest du dich dann ja mit Karsten zusammen schämen. Das ist schon sehr bitter, wenn man am Lebensende so ohne jede Unterstützung dasteht. Hallo, Steward, würden Sie mal bitte kommen, ich brauche dringend Hilfe!»
Die letzte Stunde des Fluges verbrachten Erdal und ich getrennt. Der Steward hatte ihm erlaubt, sich vor dem Cockpit auf den Boden zu legen, um Atemübungen zu machen. Man legte ihm ein Kissen unter den Kopf, flößte ihm gratis Champagner ein, und der Steward versorgte ihn mit seiner Handynummer.
Ich fühlte mich einsam im Club, obwohl ich schon beim Einchecken freundlich niedergeduzt worden war. Aber manchmal ist es ja so: Je fröhlicher die Leute um einen herum sind, desto unglücklicher fühlt man sich selbst. Man ist besonders allein unter Menschen, die einem partout das Gefühl vermitteln wollen, man sei nicht allein.
Ich finde, wenn man sich einsam fühlt, ist es
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