Höhenrausch (German Edition)
zweiunddreißig. Der Männeranteil liegt bei mehr als sechzig Prozent, Kinder müssen draußen bleiben, die Strandliegen werden nicht für tagsüber reserviert, sondern für die Zeit nach Mitternacht, und ein Angestellter ist nur dafür da, das Clubgelände von Kondomen zu säubern. Linda, wenn das nicht das Paradies ist für ein spätes und einsames Mädchen wie dich!»
«Ich muss arbeiten. Und du doch wohl auch.»
«Für mich ist das Arbeit, Schätzchen. Der Club ist berühmt für seine Themen-Buffets. Die will ich mir anschauen und eventuell den Küchenchef abwerben. Ich habe gehört, der will sich verändern – unserer will sich auch verändern. Das habe ich beschlossen, weil der Mann eine verhängnisvoll innige Beziehung zu krauser Petersilie unterhält. Und was dein ‹Ich muss arbeiten› angeht – es kann dir doch völlig egal sein, wo du diesen beknackten Roman übersetzt.»
Da hatte er eigentlich Recht. Zudem war ich ganz gut vorangekommen. Ich hatte mich, wie allseits empfohlen, in die Arbeit gestürzt und würde vor dem Abgabetermin fertig sein.
Besonders abgelenkt hatte mich die Übersetzung von «The last Time» allerdings nicht, da es sich um ein herzzerfetzendes, fünfhundert Seiten langes Liebesmelodram handelte, das mich natürlich in jeder Zeile an mein bitteres Los erinnerte. Für den deutschen Titel «Kuss ohne Wiederkehr» bin ich übrigens nicht verantwortlich, falls jemand den Roman mal in einer Buchhandlung sehen sollte.
«Ich kann mir einen teuren Club-Urlaub nicht leisten, Erdal. Als freie Übersetzerin ist man auf Campingplätzen angemessen aufgehoben.»
«Der Flug mit Ryan Air nach Antalya kostet neunzehn Euro, allerdings ab Lübeck. Der Aufenthalt ist dank meiner Cousine umsonst. Sie schlägt uns einer Gruppe Reisejournalisten zu, die sich da aushalten lassen. Ach komm, lass uns fahren. Ich sage nur ein Wort: Männerüberschuss!»
Bereits am ersten Abend im Club «Camyuva» wurde ich von einer männlichen Person angesprochen. Das steigerte die durchschnittliche Häufigkeit, mit der ich in den letzten fünf Jahren angesprochen worden war, um exakt hundert Prozent. Ich war entsprechend überrascht, zumal ich so derartig übellaunig war, dass nicht einmal ich selbst den Kontakt zu mir gesucht hätte.
Am Flughafen in Lübeck hatte Erdal mir Karsten vorgestellt. Er war zwei Köpfe größer als Erdal, breitschultrig und muskelbepackt.
Von hinten sah er aus wie jemand, mit dem man lieber keinen Ärger haben möchte. Sein Gesicht allerdings sah so unerschütterlich freundlich und gutmütig aus, dass man sich sofort von ihm adoptieren lassen wollte.
Ein Fels in der Brandung, ein in sich ruhender und ausgeglichener Mensch mit offensichtlich gutem Charakter, der dazu noch mit Schusswaffen umgehen kann und Herzmassage beherrscht: Mit so einem ist man immer in Sicherheit.
Erdal hingegen, der wahrscheinlich noch niemals in seinem Leben auch nur eine Sekunde lang in sich geruht hatte, war nervös wie nie zuvor.
Karsten legte mir seine riesige Hand auf die Schulter.
«Erdal hat Flugangst, aber ihr schafft das schon. Versuch, es so zu sehen: Was Erdal heute für die allerschlimmste Katastrophe seines Lebens hält, erzählt er morgen als Anekdote. Wenn du das erst mal begriffen hast, lässt sich einiges aushalten.»
«Was meinst du mit ‹aushalten›? Willst du andeuten, es gäbe in unserer Beziehung ein Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen? Findest du, ich bin ein Pflegefall? Falle ich dir zur Last? Na bravo, lieber Karsten, da hast du dir ja genau den richtigen Moment ausgesucht, mir das mitzuteilen. Sehr sensibel von dir, wie immer. Ich denke, ein paar Tage Abstand werden uns ganz gut tun. Ich für meinen Teil werde darüber nachdenken, ob ich unsere Beziehung unter diesen Umständen überhaupt noch weiterführen will. Kommst du, Linda? Der Check-in schließt.»
Erdal setzte sich und seinen riesenhaften Rollkoffer in Bewegung.
«Das meinte ich mit ‹aushalten›», sagte Karsten. «Erdal ist jetzt hypernervös, und Streit lenkt ihn von seiner Angst ab. Wir trennen uns vor jedem Abflug, aber das hat nichts zu bedeuten. Guten Flug, Linda.» Ich sah Karsten wehmütig nach und folgte Erdal mit mulmigem Gefühl zum Abflugschalter.
«Zusammen haben Sie achtzehn Kilo Übergepäck», sagte die Frau am Check-in. «Macht für jeden zweiundfünfzig Euro.»
Zweiundfünfzig Euro? Was für eine Unverschämtheit. Bei diesen Erpresserpreisen ist ja klar, warum das gesamte Ticket nur
Weitere Kostenlose Bücher