machst du einen auf Aktionismus. Nimmst du wenigstens einen hohen Sonnenschutzfaktor?
Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich dich nicht kenne. In echt würdest du mir ganz schön auf die Nerven gehen. Andererseits ist das ja irgendwie der Sinn von Frauen, dass sie einem auf die Nerven gehen.
Frauen, die Liebe oder Trost suchen, werden ihr Glück kaum auf Ficki Island finden. Aber die Frage ist: Willst du wirklich getröstet werden? Oder tust du alles dafür, um deine über alles geschätzten Gefühle mal so richtig «auszuleben», wie du es wahrscheinlich nennen würdest?
Ein Beispiel: Ich habe in meinem I-Pod alle Liebeskummer-Songs gelöscht, die ich zurzeit auf keinen Fall hören möchte, weil sie meine traurige Stimmung verstärken würden.
Ich schicke dir die Songs im Anhang, und ich weiß genau, was du tun wirst: Du lädst sie in deinen MP3-Player runter, der wahrscheinlich pink ist und einen Ordner enthält, der «Kummerstunden» heißt oder so ähnlich.
Darin befinden sich schon an die fünfzig Songs, darunter garantiert «If I Laugh» von Cat Stevens, «In Your Eyes» von George Benson, das abscheuliche «Didn’t We Almost Have It All» von Whitney Houston, das entsetzliche «Flugzeuge» von Herbert Grönemeyer, «Hello» von Lionel Richie und höchstwahrscheinlich auch «Ich häng an dir» von Nena.
Ich bin sicher, du hörst das Zeug rauf und runter, trinkst ordentlich Rotwein dazu und liest alte Briefe von ihm.
Frauen können es sich richtig schlecht gehen lassen. Das können sie viel besser als Männer. Ich habe keine Ahnung, welche Strategie richtig ist. Ich glaube nicht, dass ich weniger leide als du – bloß leiser. Es ist eine Frage der Disziplin. Ich versuche, konsequent das zu vermeiden, was mir nicht gut tut: Lieder, Filme, Gedanken, Gegenden, Menschen. Ich habe kein Foto und keinen Brief von ihr mitgenommen. Ich habe ihre Nummer aus meinem Handy gelöscht, damit es mir nicht passieren kann, dass ich ihr betrunken eine SMS schicke.
Ich will so wenig wie möglich an sie denken. Morgens stehe ich sofort auf – bevor die Erinnerungen anfangen können, mich zu lähmen. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, setze ich mich an den Computer oder vor den Fernseher. Hauptsache Ablenkung. Ich bin nach Jülich gezogen, weil ich noch nie da war. Hier gibt es für mich keine Erinnerungen.
Aber dauert vielleicht mit Ablenkung alles noch länger? Ist es besser, seine Trauer noch zu verstärken, weil man sie dann schneller hinter sich hat?
Im Nachhinein werden wir ja sehen, wer von uns beiden eher wieder unter den Lebenden ist. So lange hoffe ich, dass der Schmerz schneller vorbeigeht, wenn ich ihm aus dem Weg gehe.
Und jetzt wünsche ich dir viel Kummer mit meinen Songs und noch viel Spaß auf Ficki Island.
Eins noch: Ich glaube, es stimmt nicht, dass Frauen mehr fühlen. Sie wollen bloß unbedingt mehr fühlen und steigern sich deshalb mit großem Aufwand in die winzigste Regung hinein. Würdet ihr das mal lassen, könntet ihr auch Sex zur Ablenkung haben.
Es grüßt: Andreas
PS: Deine Nachbarin Ina – die mit Whitney Houston – hat für mich den Treppenhausdienst übernommen. Habe mich beim Feudeln extra unbeholfen angestellt. So was funktioniert immer. Lade sie dafür Sonntagabend auf einen Wein ein.
Anlage
Sechzehn verbotene Lieder:
The Cripple and the Starfish (Anthony and the Johnsons)
Sometimes I Feel Like a Motherless Child (Van Morrison)
One (Johnny Cash)
Sail away (David Gray)
If I Could Fly (Boy George)
I Don’t Wanna Talk about It (Rod Steward)
Into my Arms (Nick Cave)
In the Wee Small Hours of the Morning (Frank Sinatra)
Save Me (Aimee Man)
Where Did You Sleep Last Night (Nirvana unplugged)
Give Judy my Notice (Ben Folds)
The Blowers Daughter (Damien Rice)
One Day You’ll Dance for Me New York City (Thomas Dybdahl)
Take this Waltz (Leonard Cohen)
Giselher (Marius Müller Westernhagen)
Just a Man (Los Lobos)
Von: Linda Schumann
Betreff: Re: Re: Neues von der Haseninsel
Datum: 18. Oktober 23 : 17 : 08 MESZ
An:
[email protected] Lieber Andreas,
du hast Recht: Ich will die Extraportion Gefühl. Schau mal in dem kleinen Regal neben meinem Bett nach. Okay, da stehen etwa fünf Romane, auf denen englische Landhäuser abgebildet sind, aber dazwischen müsstest du ein schmales Büchlein finden, das «Licht» heißt. Ungefähr in der Mitte findest du was Unterstrichenes zum Thema Viel-fühlen-Wollen. Lies es. Vielleicht verstehst du dann besser, was ich