erkennen – und wahrscheinlich vor deinen Freunden verleugnen. Für meinen Geschmack hat sie sich sehr zu ihrem Vorteil verändert, auch wenn ich im weihnachtlichen Übereifer den Tannenbaum ein paar Nummern zu groß gekauft habe. Er steht vorm Wohnzimmerfenster, und einen Ausblick nach draußen gibt es in diesem Sinne nicht mehr.
Mit vier Pfund Lametta und einigen Metern Lichterketten entfaltet der Baum einen wuchtigen Liebreiz.
In deinem Ofen, der es in seinem bisherigen Leben ja nur mit Thunfischpizza und Aufbackhörnchen zu tun hatte, brät eine riesenhafte Ente. In gut einer Stunde kommen Erdal, seine Mutter und ein Überraschungsgast. Es bleibt also noch etwas Zeit, dich auf den Stand der Dinge zu bringen.
Draco mag dich nicht, weil du ihm gesagt hast, er solle mich fragen, bevor er einfach so in Berlin bei mir auftaucht. Er kann ja auch schlecht wissen, dass du meistens Recht hast – und mich besser kennst, als mir manchmal lieb ist.
Sein Auftauchen hat mich verwirrt. Auf einmal kam ich mir betrogen vor. Da hat man monatelang maximalen Kummer, macht sich zum Deppen, schläft schlecht, arbeitet wenig, heult viel, geht Freunden rund um die Uhr auf die Nerven – und das soll mit einem Mal alles für die Katz gewesen sein? Das ist mir irgendwie auch nicht recht. Man leidet doch ergebnisorientiert. Man leidet, damit man es irgendwann hinter sich hat. Und nicht, um hinterher festzustellen, dass man sich das Leid hätte sparen können.
Draco ist hereinspaziert, als sei in der Zwischenzeit nichts geschehen. Als hätte ich ein halbes Jahr nichts anderes getan, als auf ihn zu warten. Nun stimmt das ja auch beinahe, aber davon auszugehen ist eine Unverschämtheit.
Aber immerhin, ein Traum wird wahr: Er will mit Doris Schluss machen und wieder mit mir zusammen sein.
Auf den Gedanken, dass ich ihn eventuell nicht zurückhaben möchte oder gar einen anderen habe, ist er überhaupt nicht gekommen.
Er war ganz der Alte. Aber vielleicht bin ich nicht mehr ganz die Alte?
Vor Silvester will er wiederkommen. Johann Berger übrigens auch. Er scheint zu wittern, dass etwas nicht in Ordnung ist, denn er schreibt auf einmal SMS wie ein Weltmeister.
Ganz schön was los in meinem Leben, oder? Es ist schon fast kein Triumph mehr, dass mein Liebhaber jetzt endlich das tut, was er nie getan hat, solange ich es darauf angelegt habe: zappeln!
Lieber Andreas, ich wünsche dir einen Weihnachtsabend ganz nach deinen Wünschen.
Herzlich
Deine Linda
PS: Du willst doch heute Abend fernsehen. Ich habe für dich das Programm studiert. Um viertel nach acht kommt «Vier Hochzeiten und ein Todesfall» – ein wunderbarer Tränenschocker! Bei der Beerdigung von Gareth trägt sein Freund von Tränen unterbrochen ein Gedicht vor. Ich habe mir die eindrucksvollste Zeile für meine eigene Beerdigung gemerkt:
«Fegt weg den Wald und des Meeres Flut.
Nie wird es sein, so wie es war.
Nie wieder gut.»
Wer an dieser Stelle nicht vor laufendem Fernseher heulend zusammenbricht, hat entweder Biophysik in fünf Semestern fertig studiert oder gehört in therapeutische Behandlung.
So, bevor ich ins Plaudern gerate, muss ich jetzt mal nach der Ente gucken.
Von: Andreas Szabo
Betreff: Re: Ente gut, alles gut?
Datum: 24. Dezember 20 : 07 : 39 MESZ
An:
[email protected] Liebe Linda!
Vielen Dank für deine TV-Tipps. Das Programm ist wirklich schockierend. Außer einem Kriegsfilm nach Mitternacht auf Pro 7 ist nichts Interessantes dabei. «Vier Hochzeiten und ein Todesfall» werde ich mir bestimmt nicht anschauen. Ich bin froh, um nicht zu sagen: stolz, dass ich es bisher vermeiden konnte, einen Film zu sehen, in dem die Damen Hugh Grant, Kevin Costner oder Meg Ryan mitspielen.
Aber ehe du dir Sorgen um die Gestaltung meines Heiligabends machst: Ich habe mir Filme ausgeliehen, in denen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel kaputtgeht, «Conair» zum Beispiel. Außerdem habe ich bereits die zweite Thunfischpizza im Ofen. Es geht mir also bestens.
Vielleicht freut es dich, dass du inzwischen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf mich hast: Ich habe gerade eine Kerze unter deinem unsäglichen Gespenster-Windlicht angezündet. Aber bitte erzähl meinen Freunden nichts davon.
Zu deinem Liebesleben sage ich besser nichts mehr. Nur eins noch: Was sind das für Typen, die sich nur dann um dich bemühen, wenn sie Angst bekommen, dich zu verlieren?
Wie wär’s zur Abwechslung mit einem, der dich nicht nur