Hoehepunkte der Antike
so war der Herd in der
Tholos
gemeinschaftlich und öffentlich. Er stellte den Mittelpunkt der Bürgerschaft, ja eigentlich die Gesamtheit aller Häuser der
Bürger dar. So visualisiert dieser gemeinsame Herd nicht nur den Familienherd, sondern gleichzeitig auch die politische Gemeinschaft |55| der Bürger auf der Agora, dem Zentrum ihrer politischen Aktivität. Symbolisch betrachtet ist damit ein neuer Mittelpunkt der
Polis geschaffen worden, der weniger religiös als politisch ist. Man kann noch weiter gehen: Der gemeinsame Herd ist örtlicher
Mittelpunkt des bürgerlichen Raumes und wie auf einen Symmetriepunkt sind alle Bürger ohne Unterschied und ohne Hierarchien
auf diesen Punkt bezogen.
Die Abstraktheit dieses politischen Symbolismus findet ihren besonderen Ausdruck in der Verwendung eines neuen, politischen
Kalenders, der mit der Einführung des Prytanie-Systems einherging. Der Prytanie-Kalender, der auf einer Einteilung des Jahres
in zehn Prytanien entsprechend dem dezimalen Einteilungssystem der Phylenordnung beruhte, unterschied sich deutlich von dem
altüberkommenen, religiösen Kalender mit der Jahreseinteilung in zwölf Monate. Er bildet in seiner Systematik die politische
Struktur der Bürgerschaft ab. Jede Phyle hat den gleichen Anteil am politischen Jahr, hat die gleiche Zeit am gemeinsamen
Herd, dem Mittelpunkt der Polis, ihre Funktion auszuüben. Die Gleichförmigkeit und dezimale Regelmäßigkeit unterscheidet dieses
Einteilungssystem von dem religiösen Kalender, der das Jahr in unregelmäßigen Abständen nach Festen gliederte, die mit keinerlei
mathematischen Regeln verbunden waren.
So zeigt sich der Weg, auf dem die Athener zu ihrer Demokratie gekommen sind, wirklich als der Weg vom Areopag zur Agora:
von der Adelszeit mit ihren altehrwürdigen Traditionen und aristokratischen Führern zu einer breiten Herrschaft des Volkes.
Auf der Agora findet diese Herrschaft ihren neuen Mittelpunkt: Dort berät der Rat der Fünfhundert, das eigentliche Regierungsgremium
und dort finden die vielen Sitzungen der Volksgerichte statt, in denen eine sehr große Zahl der attischen Bürger ihre ständige
Kontrollfunktion über alle politischen Tätigkeiten wahrnahm.
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|56| Akropolis und Akademie: Athen als „Schule von Hellas“
RAIMUND SCHULZ
447 v. Chr. beschloss die Versammlung der Athener Bürger den Bau eines neuen Tempels zu Ehren ihrer Stadtgöttin Athena, des
so genannten Parthenons. Der Plan sprengte alle Dimensionen. Es war ein Riesenbau, der größte des griechischen Mutterlands
aus den kostbarsten Materialien und mit neuartigen Bildfriesen versehen: Sie zeigten zum ersten Mal auch Menschen, nämlich
die Athener inmitten einer Feierprozession anlässlich der Panathenäen, dem größten staatlichen Fest der Athener. Im Zentrum
des Tempels ragte die zehn Meter hohe Gold-Elfenbein-Statue der Göttin selbst in die Höhe, geschaffen von Pheidias, dem berühmtesten
Bildhauer der Zeit. Eine weitere Bronzestatue, genannt
Promachos,
die „Vorkämpferin“, war bereits in den 50er-Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr. vor dem Tempel aufgestellt worden.
Die Athener hatten allen Grund, ihrer Stadtgöttin dankbar zu sein, glaubten sie doch an die Unterstützung, die ihnen Athena
als „Vorkämpferin“ von Hellas im Abwehrkampf gegen die Perser gewährt hatte; die Perser hatten zudem den alten Tempel auf
der Akropolis zerstört. Der Bau des Parthenons war aber mehr als nur die Dankespflicht an eine Göttin. Er symbolisierte zugleich
den rasanten Machtaufstieg einer Stadt, die sich binnen fünfzig Jahren vom „Kanton“ zur führenden Seemacht des ostmediterranen
Raumes entwickelt hatte. Seit 445 v. Chr. beherbergte der Tempel die einlaufenden Gelder der Mitglieder eines von Athen dominierten
Kampf bundes, der sich über die gesamte Ägäis erstreckte. Diese hatten den Bau des Parthenons zu großen Teilen finanziert;
jedes Jahr mussten ihre Vertreter im Rahmen der Panathenäen ein Rind und eine Rüstung als Opfer für Athena stellen. Keine
andere Stadt Griechenlands war in der Lage, solche Dienste von anderen Poleis einzufordern.
|57| Athen als „geistiger Tauschplatz“ der Welt
Das Selbstbewusstsein der Athener fußte aber nicht allein auf ihrer militärischen und außenpolitischen Stärke. Im Zuge ihres
Machtaufstiegs hatten die Bürger eine außergewöhnliche Form des politischen Zusammenlebens gefunden. Sie nannten diese
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