Hoehepunkte der Antike
hat vermutlich Matthäus in die antithetische Form gebracht. Der Sinn der antithetischen Form ist:
„Ihr habt gehört, dass (am Sinai) zu den Vorfahren (von Gott) gesagt wurde: Du sollst nicht töten … Ich aber sage euch (darüber
hinausgehend, aber nicht im Widerspruch dazu) …“ Die Tora wird hierbei nicht interpretiert, auch nicht kritisiert, noch auch
aufgehoben, sondern weitergeführt. Jesus bringt zum Ausdruck, dass der Wille Gottes nicht nur das äußere Verhalten der Menschen,
sondern auch die innersten Affekte bestimmen soll. Die Absicht des Menschen soll sein, sich ganz dem Willen Gottes zu unterstellen
und diesen Willen Gottes im Anbruch der Gottesherrschaft zeichenhaft zu verwirklichen. Jesus erteilt Tora angesichts der hereinbrechenden
Gottesherrschaft.
Die Fortsetzung Matthäus 6,1–18 enthält zunächst Anweisungen für |113| drei Bereiche des frommen Lebens: Almosengeben, Beten und Fasten. Im Abschnitt über das Gebet ist das Vater Unser eingearbeitet.
Es stellt nicht nur strukturell, sondern auch inhaltlich die Mitte der Bergpredigt dar. Matthäus bietet das Gebet mit einigen
Unterschieden zu Lukas (11,2–4) dar, so wie man es in seiner Gemeinde in Gebrauch hatte. Der Bezug auf das Kommen der Gottesherrschaft
wird auch in diesem Gebet explizit: „Dein Reich komme“ (Matthäus 6,10). Nach Mahnungen zum Schätzesammeln und Sorgen, vom
Richten und von der Gebetserhörung schließt die Bergpredigt damit, einzuschärfen, dass es darum geht, den Willen Gottes nicht
nur zu hören, sondern zu „tun“ (Matthäus 7,21.24). Wer den Willen Gottes „tut“, wird mit einem Mann verglichen, der sein Haus
auf Felsengrund gebaut hat und dem die Naturgewalten nichts anhaben können. Die Scheidung in töricht und klug geht mitten
durch die Gemeinde hindurch.
Die Bergpredigt ist nur verständlich im Kontext der hereinbrechenden Gottesherrschaft. Sie ist Lehre für diejenigen, die sich
der Gottesherrschaft geöffnet haben. Die Vorstellung, die Bergpredigt gelte nur für das Privatleben und nicht auch für das
öffentliche Leben, ist von außen herangetragen. Sie gilt für die Gemeinde Jesu und ist insofern sowohl für den privaten als
auch für den politisch-öffentlichen Bereich relevant.
Golgata
Jesu Weg nach Golgata muss ebenfalls im Kontext seiner Verkündigung der Gottesherrschaft und nicht etwa unabhängig davon gesehen
werden. Jesus hat aufgrund seines Verhaltens und seiner Lehre mit Widerstand rechnen müssen. Obwohl er nirgends das Judentum
verlassen oder sich grundsätzlich gegen das Judentum ausgesprochen, sondern ähnlich wie Johannes der Täufer eine innerjüdische
endzeitliche Erneuerungsbewegung initiiert hat, hat es Kräfte gegeben, die seiner Person und Lehre skeptisch bzw. ablehnend
gegenüberstanden. In die heute vorliegende Darstellung der Evangelien sind Auseinandersetzungen aus späterer Zeit mit eingeflossen.
Die Pharisäer, denen Jesus nahe stand und mit denen er auch positiv verlaufende Gespräche führte (vgl. Markus 12,28–34), wurden
vor allem im Evangelium des Matthäus zu den Gegnern Jesu schlechthin (vgl. insbesondere Matthäus 23). Im Johannesevangelium
wurden „die Juden“ zu den Gegnern Jesu und zu Repräsentanten |114| der Feinde seiner Botschaft stilisiert. Dies gilt für die Situation des irdischen Jesus so keinesfalls. Jesus wusste sich
zu seinem Volk gesandt und leugnete niemals die Rolle Israels als von Gott erwähltes Volk. Dennoch hat sein Anspruch, als
Gottes Beauftragter an der Ankunft der Gottesherrschaft maßgeblich beteiligt zu sein, Widerstand hervorgerufen. Aus den so
genannten Leidensankündigungen (Markus 8,31; 9,31; 10,33f), die in ihrer heutigen Gestalt nachösterliche Bildungen sind, lässt
sich ein historischer Kern herausschälen, der davon zeugt, dass Jesus mit seiner gewaltsamen Beseitigung gerechnet hat. Der
Rätselspruch „Der Menschsohn wird in die Hände der Menschen ausgeliefert“ (Markus 9,31) legt dies nahe. Aus diesem Wort wird
auch deutlich, dass Jesus seinen Weg bewusst gegangen ist und sein Schicksal als eine von Gott verhängte Notwendigkeit angesehen
hat, denn bei der passivischen Formulierung handelt es sich um ein so genanntes
passivum divinum
.
Worin besteht der äußere Anlass für seine Hinrichtung? Stärker als die Sabbatheilungen war vor allem die Tempelaktion Jesu
ein provokatorischer Akt, der Widerstand hervorrufen musste. Die Tempelaktion bot
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