Hoehepunkte der Antike
verschärfen, an anderen Stellen zu entschärfen
scheint.
Jesus unterscheidet zwischen dem Gebot Gottes und den menschlichen Satzungen. Er lehnt menschliche Satzungen ab, wenn sie
in Gefahr stehen, Gottes Gebot einzuengen oder zu begrenzen. Er fordert keine bessere Auslegung der Tora, sondern eine andere
Einstellung zum |111| Gesetz Gottes selbst. Die pharisäische Halacha, wie sie in Markus 7,1– 8.9–13 begegnet, lehnt er ab. In Markus 7,15 scheint
Jesus jedoch die Tora selbst abzulehnen: „Es gibt nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, das ihn unrein machen
könnte; sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ Die Aussage steht in Widerspruch zu den Speisegeboten
des Pentateuch. Doch ist es auch hier nicht die Ansicht Jesu, die Bestimmungen der Tora zu kultischer Reinheit abzuschaffen,
sondern er will in der Situation der hereinbrechenden Gottesherrschaft auch Sünder und Zöllner mit einbeziehen. Und deshalb,
weil Gott alle einbeziehen will, kann es geboten sein, Reinheitsbestimmungen zurückzusetzen. Markus 7,15 bedeutet im Kontext
der Gemeinschaft Jesu mit Sündern und Zöllnern nicht die totale Abschaffung der Tora, sondern die Außerkraftsetzung bestimmter
Reinheitsgesetze angesichts der endzeitlichen Qualität der Situation.
Nach Markus 12,28–34 erfüllt sich die Forderung Gottes im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Das Gebot der Nächstenliebe
geht dabei aus dem Gebot der Gottesliebe hervor. Die Begegnung mit dem liebenden Gott ist Motivation und Maßstab der Nächstenliebe.
Das Liebesgebot ist für Jesus – wie für das Judentum – die letzte Zuspitzung der Tora. Es ist eine Aufforderung, sich der
Tora gänzlich zu stellen. Grenzen und Ordnungen der bestehenden Welt werden durch den so verstandenen Gotteswillen wo es nötig
ist – zeichenhaft-punktuell – durchbrochen. Das Doppelgebot ist in einen breiten Strom jüdischer Analogien eingebettet. Fragt
man nach dem Eigenprofil der Verkündigung Jesu, so ist festzustellen: Der Begriff des „Nächsten“ wird im Gleichnis vom Barmherzigen
Samariter (Lukas 10,25–32) auf den Fremden ausgeweitet, in der Bergpredigt (Matthäus 5,43–48) und in Lukas 6,27–36 auf den
Feind. Lukas 7,31–35; Matthäus 11,16–19; Markus 2,15–17 belegen, dass Jesus in der Begegnung mit Deklassierten die Nächstenliebe
auch auf sie ausgeweitet hat. Im zeitgenössischen Judentum gab es neben Jesus weitere Vertreter eines universalistischen Verständnisses
der Nächstenliebe. Jesus konnte daran anknüpfen und dies fortführen.
Die Bergpredigt
Einen Höhepunkt in der neutestamentlichen Überlieferung von Jesus stellt die Bergpredigt dar (Matthäus 5–7). In ihrer heutigen
Gestalt bildet |112| sie – entsprechend der Tendenz des Matthäus, gleichartige Stoffe zu größeren Komplexen zusammenzufassen – eine Zusammenstellung
des Matthäus. Die Parallele bei Lukas (6,20–49) ist wesentlich kürzer und wird gewöhnlich als „Feldrede“ bezeichnet. Matthäus
hat in der Bergpredigt vor allem Überlieferungen aus der Logienquelle und aus seinem Sondergut verarbeitet. Die Bergpredigt
und die ihr folgenden Kapitel 8 und 9, in denen vor allem Heilungen erzählt werden, sind von Matthäus gerahmt durch zwei nahezu
gleichlautende Sätze in 4,23 und 9,35, die eine Inklusion darstellen: „Und Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren
Synagogen und predigte das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk.“
Die Bergpredigt hat einen planvollen Auf bau. Nach einer Einleitung finden sich die so genannten Seligpreisungen und die Worte
vom Licht und Salz, die den Zuspruch des Evangeliums für diejenigen enthalten, die äußerlich nicht zu den Erfolgreichen gehören.
Anschließend formuliert Jesus seine grundsätzliche Stellung zur Tora: „Ihr sollt nicht meinen, ich sei gekommen, das Gesetz
oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (Matthäus 5,17). In dieser Aussage
wird deutlich, wie Matthäus die folgenden so genannten Antithesen (Matthäus 5,21–48) verstanden wissen will: Sie sind in ihrer
Form zwar antithetisch formuliert, wollen jedoch keineswegs als Gegensatz zur Tora verstanden sein. Nicht alle Antithesen
gehen in dieser Form auf den irdischen Jesus zurück, sondern vermutlich nur die vom Töten, Ehebruch und Schwören (5,21f, 27f,
33f). Die anderen Aussagen
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