Hoehepunkte der Antike
den Erfahrungsbereich der Menschen gekommen. (Weitere Texte,
die die Gegenwart der Gottesherrschaft zum Inhalt haben: Markus 2,18–19a; Lukas 10,23f parallel Matthäus 13,16f; Matthäus
11,5; Matthäus 13,44–46.)
Die Gegenwart der Gottesherrschaft wird in Jesu Lehren und Handeln deutlich, ja sie kommt darin zum Vollzug; sie kommt darin
bei den Menschen, die Jesus hören und erleben, an. Jesus selbst versteht sein Handeln als einen Eingriff Gottes in die Welt.
Darin besteht auch die Besonderheit seines Selbstverständnisses: Jesus hat keine Titel auf sich angewandt (Messias, Menschensohn,
Sohn Gottes etc.), aber er wusste sich als Beauftragter Gottes, in dessen Reden und Handeln sich die Gottesherrschaft in der
Gegenwart vollzieht. Von diesem Selbstverständnis her erhalten Jesu Taten (Wunder, Zeichenhandlung) und Jesu Verkündigung
(Gleichnisse, Lehre) ihre Eindeutigkeit.
Bei der Gleichnisverkündigung Jesu handelt es sich nicht um bloße Information über die Gottesherrschaft, sondern um deren
Vollzug, um deren Geschehensereignis. Die Gleichnisse verwickeln den Hörer in das Geschehen der Gottesherrschaft. Der Hörer
versteht sich selbst, seine Welt und Gott neu, wenn er sich auf das Gleichnis einlässt. Es eröffnet ihm einen neuen Raum,
den Raum, in dem Gottes Herrschaft sich vollzieht. Dabei sind die Gleichnisse insgesamt als Metaphern zu verstehen. Man kann
von der Gottesherrschaft nur gleichnishaft sprechen. Die Gleichnisse bringen die Gottesherrschaft im Gleichnis und als Gleichnis
zur Sprache. Dabei wird in manchen Gleichnissen auf das jetzige unscheinbare Dasein der Gottesherrschaft abgehoben (Kontrastgleichnisse).
Am Ende wird sie jedoch in Fülle erscheinen, wie z. B. im Senfkorngleichnis: Das Senf korn ist das kleinste unter den Körnern.
Wenn es ausgesät wird, ist die Staude, die dann aufwächst, so groß, dass selbst |108| Vögel in den Ästen nisten können. Andere Gleichnisse stellen die Zuwendung Gottes zu den Menschen ins Zentrum: so z. B. das
Gleichnis vom verlorenen Sohn, das eigentlich das Gleichnis vom barmherzigen Vater heißen müsste (Lukas 10), oder das Gleichnis
von den Arbeitern im Weinberg, in dem alle den für einen Tagelöhner notwendigen Tageslohn bekommen, auch wenn sie weniger
als einen Tag gearbeitet haben (Matthäus 20).
Als Jesus von den Jüngern Johannes des Täufers gefragt wird, ob er der sei, „der da kommen soll“ oder ob sie auf einen anderen
warten sollten, antwortet Jesus nicht, indem er einen der bekannten Titel Messias, Davidssohn, Sohn Gottes etc. auf sich bezieht
und sagt, er sei es, sondern indem er auf sein Tun verweist: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören,
Tote stehen auf und den Armen wird die frohe Botschaft verkündigt“ (Matthäus 11,5f). Hieraus wird deutlich, dass auch die
„Wunder“ Jesu, seine „Krafttaten“, wie sie das Neue Testament nennt, in den Kontext des Evangeliums vom Kommen der Gottesherrschaft
einzuordnen sind.
Im Mittelpunkt des Wirkens Jesu stehen Taten der Hilfe und der Heilung, die von den Zeitgenossen als „Wunder“ begriffen werden.
Wunder heißt in diesem Fall: Taten, die in Staunen versetzen. Wunder meint also nicht eo ipso Taten, die Naturgesetze außer
Kraft setzen, denn diese waren damals so noch nicht bekannt. Damit war die Wirklichkeitserfahrung des antiken Menschen anders
strukturiert als bei uns heutigen. Bestimmte Wunder lassen sich auf psychosomatische Vorgänge zurückführen. Verschiedene Wunder
wurden erst in der nachösterlichen Zeit aus Bildworten konstruiert (z. B. Markus 11,12–14 entstanden aus der Tradition, die
hinter Lukas 13,6–9 steht) oder durch Übertragung von Motiven aus der Umwelt auf Jesus gebildet (z. B. die Diskussion um die
Tempelsteuer Matthäus 17,24–27, die nachträglich durch ein Märchenmotiv angereichert wurde). Manche Wunder wurden gesteigert
(aus einem Blinden in Markus 10,46 werden in Matthäus 20,30 zwei). Gleichwohl ist sich die Forschung einig, dass Jesus Wunder
vollbracht, d. h. Menschen geheilt hat.
Die Wunder Jesu lassen sich einteilen in Exorzismen, Heilungen und Rettungswunder. Bei dieser Einteilung wird der Bezug zur
Gottesherrschaft deutlich: Die Exorzismen haben Kampfcharakter. Jesus erweist sich gegenüber dem Dämon als der Stärkere. Bei
den Heilungen steht |109| der leidende Mensch im Vordergrund. Jesu Heilungen sind zu verstehen als paradigmatische Vollzüge der
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