Höhepunkte
fast erwachsen war, immer noch wie damals, als er einen Schulranzen trug.
»Es ist wegen der Grotte«, sagte Luigi trotzig.
»Der Grotte?« fragte die Baronessa stirnrunzelnd. »Du meinst die Grotte der Jungfrau Maria, oben am Felsen?«
Luigi nickte, er brachte kein weiteres Wort heraus. Er preßte die Lippen zusammen, als wolle er für immer stumm bleiben, aber die Baronessa faßte seine Schultern und schüttelte die Sätze einzeln aus ihm heraus. »Da oben... Renata und der Student aus Turin... Jede Nacht sind sie da...«
»Renata?« Es lag mehr als nur ein Erstaunen in dieser Frage, es war ein Aufhorchen, eine erwartungsvolle Spannung. War da vielleicht eine Geschichte? Gab es da vielleicht einen kleinen Skandal? Ach, wenn nur irgend etwas passierte in diesem langweiligen Dorf!
»Die Renata Gabboni. Die Frau von Carlo, dem Bäcker.«
»Renata Gabboni! Das ist nicht wahr! Du schwindelst! Du belügst mich, du kleiner Nichtsnutz! Ich glaube dir nicht! Renata Gabboni ist eine ehrbare Frau, sie geht jeden Tag in die Kirche und verläßt das Haus nie ohne schwarzen Schleier, seit der Herrgott ihre Mutter heimgeholt hat.«
Luigis Augen zogen sich zornig zusammen. »Aber sie ist es doch«, sagte er. »Und sie hat sich mit dem Studenten von Anfang an getroffen. Seit er nach Azzuro gekommen ist.«
»Seit er nach Azzuro gekommen ist? Von Anfang an, sagst du?« Die Baronessa war fasziniert. Abgründe taten sich auf! Wenn Renata, die züchtige, sanfte Ehefrau des Esels Carlo, derart sündige Gedanken hegte, was verbarg sich wohl sonst noch hinter den verschlossenen und auch einfältigen Stirnen der Bewohner von Azzuro?
Luigi verfolgte das Mienenspiel der Baronessa. Als er spürte, daß ihre Neugier den Zorn besiegt hatte und daß er sie vielleicht sogar zur Komplizin machen konnte, raunte er der Baronessa ins Ohr. »Ich hab sie gesehen, Baronessa. Ich schwöre es. Sie legen sich auf den Altar der Grotte. Sie zünden alle Kerzen an, und der Student setzt sich den getrockneten Myrtenkranz auf, der immer um den Hals der Madonna hängt, und dann ziehen sie sich aus, und Renata säugt den Studenten an ihrer Brust wie ein Kind.«
»Wie ein Kind, sagst du? An ihrer Brust?« Die Augen der Baronessa leuchteten. »Sei ganz still!« zischte sie, während sie ihn am Arm hinter sich herzog. »Mach keinen Lärm! Weißt du eine Stelle, von wo aus man sie ungestört beobachten kann?«
»Der Ginster ist hoch genug, man kann sich bequem dahinter verstecken. Soll ich Ihnen die Stelle zeigen?«
»Natürlich! Was fragst du! Mach schnell, sonst kommen wir womöglich zu spät.«
Die Grotte der Madonna gehörte eigentlich nicht mehr zum Park der Baronessa Laura Battoldi, aber es gab auch keinen Zaun, der die Grundstücke voneinander trennte. Es war das obere Ende des Parks, dort, wo das von Ginster und Holundersträuchern, von Lavendel und Thymian bewachsene wilde Ge-lande jäh an eine glatte, etwa fünfzig Meter hohe Felswand stieß, die aus dem hügeligen Gelände herausragte, wie eine Granitplatte, so als sei sie ein Abbild der Gesetzestafeln Moses. Die Platte hatte etwas Heiliges, Ehrfurchtheischendes, und vielleicht war man deshalb auf die Idee gekommen, in die Grotte unterhalb der Platte einen Altar einzubauen und dort eine Marienstatue aufzustellen. Es war der Teil des Parks, den die Baronessa nur selten besuchte, sie liebte mehr den sonnigen, gepflegten Teil ihres Gartens, die Seerosenteiche, die Pavillons, die Rabatten aus wuchernden Rosen und das Holzspalier, an dem sich Clematis und Kletterrosen emporrankten. Hier jedoch, im Schatten des Felsens, war es merklich kühler, die Kräuter dufteten stärker, und das Mondlicht bleichte die Farben zu einem silbernen, verwunschenen Grau.
Luigi legte die Finger an die Lippen und deutete auf einen Lichtschein, den man plötzlich zwischen den Ginstersträuchern aufflackern sah. Dann deutete er in die Richtung der Grotte, und jetzt hörte auch die Baronessa kleine spitze Schreie. In ihrer Eile, näher heranzukommen, verfing sich ein Streifen ihres Kleides in den Büschen, und sie zerrte so heftig daran, daß der Stoff zerriß. Aber was kümmerte sie dieses lächerliche Kleid, konnte sie doch eine Szene belauschen, wie sie sie nur aus gewissen Filmen kannte, wo man schamlos Liebende zeigte, in allen Stellungen, in ihrer nackten, wilden Begierde.
Die Baronessa war gern in diese Filme gegangen, aber was sie hier sah, war schöner als ein Film. Das konnte man nicht erfind en, diesen Altar,
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