Höhepunkte
und den Hefeteig lassen sie im Gasthof backen. Und nun plötzlich so viel Freundlichkeit. Renata! Seit wann interessierte sich die Baronessa für Renata? Für einen Augenblick tauchten Bilder in seinem Kopf auf, Bilder aus den Filmen, die er in Mailand gesehen hatte, da spazierte eine Frau im Männeranzug herum, wirbelte ihren Elfenbeinstock wie die Baronessa ihren Regenschirm, die Frau hatte ihre kurzen, schwarzen Haare mit Pomade an den Kopf geklebt. Sie ging wie ein Mann, sie rauchte wie ein Mann, und wenn sie eine Frau anfaßte, dann tat sie das in einer Weise, die man in Italien bisher nur einem Mann erlaubt hatte.
Ob die Baronessa so eine war? Eine Frau, die es mit Frauen trieb? Ob sie ihre gierigen Blicke etwa auf Renata geworfen hatte? Aber das konnte nicht sein, nach allem, was man gehört hatte, holte sich die Baronessa nur Männer ins Haus. Männer, die sehr viel jünger waren als sie selbst. Das wußte jeder im Dorf.
Er sah Hirngespinste. Es war die Hitze, die flimmernd draußen vor der Tür lauerte, es war die Müdigkeit nach dieser Nacht, in der er mit Renata gestritten hatte. Warum hatten sie gestritten? Er erinnerte sich nicht mehr. Eine Kleinigkeit sicherlich. Oder war es vielleicht wichtig gewesen? Er hatte die Erinnerung daran wie eine lästige Fliege verscheucht.
»Renata!« rief er, »hörst du nicht? Es ist Kundschaft im Laden!« Die Baronessa lächelte und schaute angelegentlich die kleinen Hefekuchen an, die mit Vanillecreme gefüllt auf einem runden Pappteller unter der Glasglocke lagen. »Ich kann warten«, sagte sie leichthin.
Carlo zuckte die Achseln und verschwand.
Einen Augenblick später hörte die Baronessa das Rascheln von Kunstseide, dann klapperten die Absätze von Holzsandaletten auf den Steintreppen, dann sagte jemand: »Oh, die Baronessa! Buon giorno.«
»Buon giorno, Renata. Ein heißer Tag, nicht wahr?« Die Baronessa musterte Renata mit unverhohlenem Interesse. War das die Frau, die sie gestern auf dem Altar der Madonna gesehen hatte? War das die Frau mit dem weißen Fleisch und den flammend roten Haaren? Das Opferlamm auf dem Altar der Lust mit den gespreizten Schenkeln und dem Stöhnen eines brünstigen Tieres?
Die Baronessa trat einen Schritt vor, streckt die Hand aus und fuhr Renata ganz leicht mit den Fingerkuppen über die Wange. »Was für eine schöne Haut du hast«, sagte sie. »So weiß. Und so glatt. Ich beneide dich.«
»Aber Sie haben doch auch eine schöne Haut, Baronessa! Überhaupt sind Sie so schön!« Renata war geschmeichelt. Sie freute sich, daß die Baronessa mit ihr sprach wie mit einer Freundin. Sie errötete sogar ein wenig, und als sie den Kopf herumwarf, löste sich eine der kupferroten Locken aus dem Knoten und ringelte sich über das Ohr in den Nacken. Die Baronessa sah das alles. Sie sah auch die weichen, vollen Lippen, sah auch das verhaltene Leuchten in den Augen, sah auch das Beben der Nasenflügel, die Baronessa mußte mit sich kämpfen, um nicht auf das Geheimnis anzuspielen. Wenn Renata wüßte, wie sehr die Liebe aus ihrem Gesicht leuchtete, das Verlangen! Jeder, der Augen im Kopf hatte, mußte sehen, daß sie einen Liebhaber hatte. Wie sie sich in ihrem Kunstseidenkleid bewegte, wie ihre Schenkel gegeneinander rieben und sie jeden dieser Schritte genoß, weil er sie erinnerte. Ach, die Erinnerung!
Die Baronessa spürte jeden ihrer Gedanken wie ihre eigenen, jedes ihrer Gefühle war ihr nur zu vertraut. Dieser Jüngling aus Turin. Wie sie sich wohl kennengelernt hatten? Vielleicht hatte er hier im Laden sein Brot gekauft. Vielleicht hatten sich die beiden auf einem Spaziergang getroffen, ganz zufällig. Die unruhigen Frauen laufen viel in den Weinbergen herum, schlendern am Fluß entlang, sitzen am Uferrand und lassen die weichen Zweige der Weide im Wasser schleifen. Die unruhigen Frauen sitzen in den Vollmondnächten allein auf den Stufen ihres Hauses wie die Katzen und singen zum Mond. Aber ihr Gesang ist lautlos, ist nicht zu hören für müde, gelangweilte Ehemänner, ist nicht zu hören für giftige Schwiegermütter, für die neugierigen Nachbarn. Es geschieht nur einmal in vielen Jahren, daß ein Mann im rechten Augenblick an so einer Haustür vorbeikommt, daß er stehenbleibt, weil er glaubt, ein Duft habe seine Nasenflügel berührt, ein Schmetterlingsflügel habe seine Lippen gestreift. Und wenn er stehenbleibt und schaut und wartet, dann kommt ihm vielleicht eine Frau entgegen. Ein Gesicht, weiß vom Mondlicht beschienen,
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