Höhepunkte
gemacht, nicht wahr? Da konnte man endlich mal wieder richtig atmen! Ist das deine kleine Tochter, Sandra, mein Gott, ist sie süß! Seit wann kann sie laufen?«
»Erst seit ein paar Tagen, Baronessa. Sie mag so gerne Schokolade, und da lege ich die Schokolade immer auf das Bett und stelle die Kleine ans Fenster und sage: >Wenn du Schokolade willst, dann hol sie dir.<«
Die Baronessa lachte. »Schade«, sagte sie, während sie in den Taschen ihres weiten Kleides wühlte, »ich dachte, ich hätte noch einen Karamelbonbon dabei. Nächstes Mal, Herzchen, da bring ich dir etwas Schönes mit. Wie heißt die Kleine denn?«
»Laura, Baronessa.«
»Oh, Laura, so wie ich!« Die Baronessa lächelte dem kleinen
Mädchen zu und tätschelte seine Wange. »Dann ist es ja kein Wunder, daß sie etwas Süßes mag. Alle Lauras sind ganz wild auf Süßigkeiten.« Sie zwinkerte Sandra zu. »Wenn man jung ist, sind es Bonbons, und später ist es dann etwas anderes!« Sandra schaute einen Augenblick verblüfft, aber dann verstand sie, was die Baronessa sagen wollte. Sie schrie vor Vergnügen laut auf, preßte aber schnell die Finger auf die Lippen, als ihre Schwiegermutter aus dem Haus kam und ihr einen argwöhnischen Blick zuwarf.
Carlo hatte seine Bäckerei in der schmalen schattigen Gasse, die vom Marktplatz in Richtung zur Trattoria führte, es war ein altes, aus groben braunen Steinen gebautes Haus, das wahrscheinlich zu den ältesten von Azzuro gehörte. Jedes Jahr tünchte Carlo die Wände strahlend weiß und schmierte blauen Lack auf die Fensterläden und die Holzklappen, mit denen man die Eingangstür versperren konnte. Unten aus dem Kellergewölbe, durch die schmalen, vergitterten Fenster, kam morgens der betäubende Geruch frischen, ungesalzenen Brotes, und später, gegen Mittag, wurden hier die Makronen gebacken und das Hefegebäck, das am Nachmittag bei den Frauen auf den Tisch kam, das sie in Mandellikör tauchten und mit geschlossenen Augen hinunterschlürften wie etwas Verbotenes. Im Laden selbst war es kühl und ein wenig feucht. Carlo war sehr zufrieden mit seinem Geschäft; durch die Feuchtigkeit, sagte er, blieben die Brote länger frisch, und außerdem haßte er Staub. Mehlstaub hatte sich schon auf seine Lunge gesetzt, und Carlo hustete eigentlich unentwegt, wenn er unten in der Backstube stand und die Brotmischung in den großen Rührkessel gab.
Carlo trug ein weißes T-Shirt, auf dem »Super Mistral« stand, und darüber eine mehlige gelbliche Bäckerschürze. Seine Unterarme waren stark behaart wie die Arme eines Affen, überhaupt hatte Carlo so viele Haare, sie standen wirr um seinen Kopf, wuchsen ihm aus den Ohren, und wenn er sich vor einer Stunde rasiert hatte, so sah er doch aus wie manche Leute, die seit Tagen ihre Bartstoppeln mit sich herumtrugen. Seine Augen waren klein, sehr hell und eng beieinanderstehend. Er hatte eine breite Nase und ganz kleine Ohren. Carlo war keine Schönheit. Seine Beine waren kurz und dick, die Muskelpakete an den Oberschenkeln scheuerten beim Gehen aneinander, und der Gang war etwas o-beinig wie bei einem Sportler.
Carlo war einmal die Hoffnung von Azzuro gewesen, als Fünfzehnjähriger war er Kreismeister im Diskuswerfen gewesen, man hatte ihn zu den Leichtathletikkämpfen nach Turin und Mailand geschickt, und einmal hatte es in der »Gazzetta dello Sport« sogar ein Bild von ihm gegeben. Aber das Heimweh hatte ihn aus dem Trainingslager wieder nach Azzuro getrieben, er brauchte sein Dorf, die Trattoria, die Bar neben der Kirche, er brauchte die Freunde, die mit dem Fußball über den Kirchplatz bolzten.
Trotzdem haftete ihm noch etwas an wie der Geruch des Ruhmes, er war herumgekommen in der Welt, er hatte nicht nur Orvieto und Siena kennengelernt, nein, er war sogar in die große verruchte Stadt Mailand gekommen, er hatte Kinos besucht und Bars, in denen die Mädchen barbusig bedienten, das waren Mädchen mit brauner Haut, die ihre Brustwarzen schminkten, manche mit einem perlmuttern schimmernden Stift, andere nahmen nur Vaseline, die ihre Brustwarzen glänzen ließ, und sie schwenkten ihre Brüste vor den Augen der Gäste hin und her wie Weihrauchgefäße.
Eines Tages entdeckte Carlo Renata. Es war das Weinfest im Nachbardorf Santo Stefano, Carlo war mit dem Fahrrad dorthin gefahren, und auf dem Weg hatte er plötzlich Renata überholt, die allein die Landstraße entlanglief. Renata hatte ihren gerüschten Rock hochgebunden, um die Beine frei zu haben, sie hatte
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